Der Welt zugewandt - die Christen, die Gesellschaft und die Regierung


 

 Ich bitte euch nun vor allem, tretet für alle Menschen ein mit Bitten, Gebeten, Fürbitten und Danksagungen; für alle Menschen, für Könige und Regenten, damit wir ein friedliches Leben führen können in Seligkeit und Würde. (1Tim 2,1-2)

 

So schrieb es der Apostel Paulus an seinen Schüler Timotheus und ruft damit auch uns heute eine Aufgabe ins Bewusstsein, die nichts an ihrer Wichtigkeit verloren hat: Wir sollen für die Menschen um uns her bitten, beten und danken. Für alle Menschen (grch. pas anthropos), das sagt er als erstes, und für Könige und Menschen in hohen Ämtern, damit wir Frieden haben. Daran hat sich nicht das geringste geändert bis heute, denn wer kann wirklich friedlich und ruhig sein Leben führen, wenn um ihn her die Welt in Aufruhr ist? Ist das nicht ganz aktuell? Selbst, wenn man ganz persönlich vielleicht unbeschadet ist von gewissen Bedrohungen oder Bedrängnissen, die Krise den eigenen Berufszweig oder das eigene Unternehmen nicht betroffen hat, das Hochwasser nicht durch die eigene Region geströmt ist, die Demonstrationen nicht vor der eigenen Haustür eskaliert sind, sich im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis noch keine kruden Theorien oder menschenverachtende Parolen hören lassen, die eigene Tochter an jenem Abend nicht auf jener Feier war, der eigene Sohn nicht auf jenem Bahnsteig, wenn der Krieg und das Schlechte nicht bei uns stattfinden ... 

Es wäre sehr ignorant und kaltschnäuzig, so zu denken, und so sind wir Menschen meistens doch glücklicherweise nicht. Es bewegt uns und bedrückt uns auch, was um uns her geschieht, und die eigene Ruhe kann nie so ganz befriedigend sein, wenn um uns her alles aufgepeitscht ist. Und sei es, dass Menschen innerlich abstumpfen oder einsilbig werden, sich mit Fake-Profilen durch Kommentarleisten trollen oder sich in schwarzweiße Weltbilder flüchten, auch sie sind nicht unberührt von den Wirren der Welt, sondern oft viel mehr davon angefasst als andere.

Für sie alle, Bekannte und Unbekannte, mit denen wir verbunden sind in dieser Welt und das Leben teilen, ruft Paulus zu Gebet, Fürbitte und Dankbarkeit. Er trägt keine Staatstheorie vor, entwirft keine Konzepte, Modelle oder Methoden, sondern er weist uns zu Gott, wie er es immer tut in seinen Schriften: Sprecht mit ihm über diese Welt, über die Menschen, über jene, die euch regieren; betet für sie und seid dankbar für das Gute, das euch umgibt und für Jene, die euch wohlgesonnen sind. Er schreibt das in einer Zeit und in dem Wissen, dass es keineswegs selbstverständlich ist, dass man uns wohlgesonnen ist. Die Christen wurden damals verfolgt (wie heute noch in manchen Ländern der Erde) und alle Schriften des Neuen Testaments - dies muss man sich manchmal vor Augen führen - waren sozusagen Märtyrertexte.

Und auch diese Haltung ist letztlich nicht so weit weg, wenn man mal ernsthaft darüber nachdenkt. Wie selbstverständlich war es denn, dass ich in jenem guten und liebevollen Elternhaus geboren werde, aus dem ich komme? Es hätte auch anders sein können. Wie viele mussten durch ganz andere Widrigkeiten und Umstände hindurch? Wie selbstverständlich ist es, in dieser Zeit und Staatsform zu leben, blickt man auf den Großteil der Menschheitsgeschichte zurück? Wie undankbar ist die Idee, diese Dinge seien selbstverständlich und wir hätten einen selbstverständlichen Anspruch darauf? Ein Blick auf den Globus zeigt uns, dass alldas keineswegs der Standard ist. 

Der christliche Glaube weiß um diese Dinge und Paulus führt hier keine weltfremden Thesen an, wie man ihn manchmal verdächtigt, im Gegenteil: Wir sollen der Welt zugewandt sein, das mahnt er an, darum bittet er uns (das Wort parakaleo bedeutet sowohl "ermahnen" als auch "bitten"). Weil wir, die anderen Menschen, die Regenten und Staatsdiener, alle diese Welt und dieses Leben miteinander teilen, weil wir miteinander zutun haben, weil wir alle eine Aufgabe an unserem Platz haben, deshalb sollen wir füreinander bitten und beten, aneinander denken und das Beste suchen. Weil wir alle ungefragt und unwissend in dieses Leben gegeben wurden, mit Stärken und Schwächen, wunderbaren Eigenschaften und Abgründen, Erfolgen und Verfehlungen, Wünschen und Hoffnungen, Vorzügen und Unzulänglichkeiten, deshalb sollen wir Verständnis anstreben und Frieden suchen, soweit es an uns liegt. Weil wir geliebt wurden, deshalb sollen wir die Menschen lieben, lautet der anspruchsvolle Auftrag an uns.

 Wenn wir zum Frieden in unserer Gesellschaft beitragen, dann haben auch wir Frieden. Paulus macht ganz bewusst diese pragmatische Bemerkung: dann können wir in Frieden und Ruhe leben, in Seligkeit und Würde! Würde bedeutet auch, frei und unbesorgt leben zu können, mit offenem Visier und gerader Haltung. Dauernder Unfriede, Bedrängnis und Bitterkeit greifen die Würde an und man muss sich ständig hindurchtrösten; die ersten Christen kannten dies nur zu gut und viele Menschen auf der Welt kennen es ebenfalls und nicht von ungefähr sind "Würde" und "Freiheit" Begriffe, die wir immer zusammen denken wie zwei Schwestern. 

Und schließlich, schreibt Paulus, sind Gebet, Fürbitte und Dankbarkeit für die Menschen ein Glaubenszeugnis: Denn dies ist gut und angenehm vor unserem Gott, unserem Erlöser, der wünscht, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. (Vers 3-4) Denn die Beziehung, aus der heraus wir so zu leben lernen, adelt nicht uns, sondern Den, mit dem wir verbunden sein dürfen, der uns kennt und liebt und an uns denkt.

Siehe, alle Menschen gehören mir. (Hes 18,4)

 

 Amen

 

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