Die Verweigerung



Die Debatten, Demonstrationen, Postings, Kommentare und Wahlkämpfe um die Bundestagswahl in Deutschland 2025 haben sehr gebündelt gezeigt, wie stark die Gemütslage in der Bevölkerung am brodeln ist. Von der alten "Politikverdrossenheit", die den Deutschen jahrelang nachgesagt wurde, war und ist derzeit nichts zu spüren - seit sehr langer Zeit hat man sich nicht mehr so energisch politisch beteiligt und gestritten. Das zumindest ist auch das Verdienst der AfD (Alternative für Deutschland) oder ihre Schuld, von welcher Warte aus auch immer man das sehen möchte, denn sie gründete ihre Polemik auf der Unzufriedenheit und Unsicherheit der Bevölkerung und verlieh einer grundsätzlichen Kritik an der bestehenden Regierung eine lautstarke Stimme. Viele Menschen, die sich von der bisherigen politischen Führung und den Altparteien nicht mehr gesehen, gehört und vertreten fühlen, sehen in der AfD die sprichwörtliche "Alternative" und den Hoffnungsträger, und wenden sich ihr zu.

Diese Wählerinnen und Wähler sind nicht "alles Nazis", wie oftmals von oppositionellen Seiten geschimpft wurde und wird (man muss sich manchmal auch wieder klarmachen, was eigentlich die Nazis waren, bevor man mit diesem Begriff so um sich wirft), aber die Gemüts- und Gemengelage zeigt natürlich einen bedenklichen Spiegel der Gesellschaft. In welcher Verfassung ist ein Land, wenn menschenverachtende und rassistische Äußerungen wie vieler aus der AfD so viel Gehör finden und als Teil der normalen politischen Debatte und Meinungsfreiheit empfunden werden? Dass dem so ist, ist jedoch nicht die Schuld der AfD. Die AfD ist nicht die Krankheit, sie ist ein Symptom. Sie ist ein Gemisch aus Menschen mit echten Sorgen, die nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen, aus frustrierten Trollen, wie vor allem die Wahlkampfzeit in den Sozialen Medien sehr stark gezeigt hat, und schlichtweg aus Rechtsextremen.

Was diese Partei wirklich tun würde, wenn sie an der Macht wäre, ist ein anderes Thema, sowohl bezüglich dessen, was manche befürchten, als auch bezüglich dessen, was manche sich erhoffen. Es ist zunächst, wie immer in der Politik und vor allem im Wahlkampf, sehr viel Gerede, um Zustimmung zu bekommen. Doch darum geht es auch weniger. Es geht weniger um sachliche Inhalte und reale Maßnahmen (auch wenn wir uns das gerne immer einbilden), sondern es geht vor allem um eins: um Emotionen. Und die Konsequenzen dieser entfachten Emotionen werden nicht die Politikerinnen und Politiker der AfD tragen müssen, sondern wir, die Bevölkerung. Der Brandstifter steht nicht selbst in dem Gebäude, das er angezündet hat, sein stärkster Charakterzug ist die Feigheit und die Freude daran, es irgendwo lodern zu sehen. 

Viele sorgen sich sehr deswegen: "Macht nicht den gleichen Fehler wie 1933" hieß es in vielen geteilten Posts. Das klingt sehr edel, aber das entscheidet sich nicht wirklich auf dem Stimmzettel: Menschen wählen, was sie wählen, und da die AfD eine ordentlich zugelassene Partei ist, können Menschen sie wählen. Und ferner: Leuten, die wirklich menschenverachtende und rassistische Ansichten haben, zu sagen "Macht nicht den gleichen Fehler wie 1933" ist hinfällig; sie wollen das ja.

Nein, die eigentliche Frage entscheidet sich ganz woanders: 

Für den Fall, dass eines Tages mal eine Partei und Menschen die Macht gewinnen, die destruktive und menschenverachtende Weltbilder vertreten und auch real umsetzen wollen, gibt es eine ganz einfache Maßnahme: die Verweigerung. Die strikte und konsequente Verweigerung aller Menschen guten Willens und guter Gesinnung. Kollektiv nicht tun, was gefordert wird, sei es auf den Ämtern, in den Firmen und Betrieben, in der Nachbarschaft, auf dem Schulhof usw., kollektiver Widerspruch gegen Hassreden, Hetze, Benachteiligung und dergleichen. Und all das nicht mit Pappschildern in der sicheren Masse der Demonstration, sondern im alltäglichen Leben, wenn der Beruf bedroht sein wird, wenn die Chefetage einen ins Büro zitieren wird, wenn eine Behörde vor der Tür stehen wird, wenn der Freundeskreis einen schneiden wird ... 

Der "Fehler von 1933" war nicht das falsche Kreuz auf dem Stimmzettel, sondern die fehlende Verweigerung. Nicht die Regierung entscheidet, wer wir sind und wie wir leben, sondern wir selbst entscheiden das. Stimmungsschwankungen in der Gesellschaft und in der Welt hat es immerschon gegeben - du und ich, wir müssen sie nicht haben, bloß weil die Gesellschaft sie gerade hat. Wichtiger als der Spiegel der Gesellschaft ist der Spiegel, in dem man sich jeden Morgen selbst ansehen muss. Wenn aber der Großteil der Bevölkerung - auch gegen das eigene Gewissen - treu das tut, was die Obrigkeit sagt, dann lässt man natürlich den bösen Geist ins Haus und irgendwann wird man auch so reden und denken wie sie, und sei es nur, um sich vor sich selbst noch integer zu fühlen. Menschen können sich Gedanken zu eigen machen, um sich selbst noch im Spiegel anschauen zu können, und das ist vermutlich der größte Teil und zugleich der bitterste und gefährlichste. Denn nicht die Obrigkeit führt die Dinge aus, die sie sich ersinnen, sondern die einfachen Menschen unter ihnen.

Nun klingt das alles so heroisch und lässt sich hier so leicht schreiben und sagen. Es stellt sich ganz anders dar, wenn wirklich Alltag, Beruf, Familie und Freiheit betroffen und bedroht sind. Es stellt sich anders dar, wenn man keinen (und sei es auch nur kleinen) Rückhalt an Mitstreitern hat, sondern alleine steht.

Die Frage ist nicht, woher man die Kraft und die Worte nimmt, wenn man in einem Mob auf einer Demo mitläuft oder bequem und anonym vom Sessel aus im Internet streitet; die Frage ist, woher man die Kraft und die Worte nimmt, wenn man alleine ist.

Für uns Christen ist es in einem Satz auf den Punkt gebracht, worum es dann geht: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen! (Apg 5,29) Petrus und die Apostel sagten das vor dem Hohen Rat, der religiösen Führung in Jerusalem, als man ihnen verbieten wollte, das Evangelium zu verkünden. Unter jeder Regierungsform gab es Christinnen und Christen, die diesen Worten Leben gegeben haben und die die Kraft dafür nicht aus einer breiten Zustimmung holten oder aus sich allein zu schöpfen versuchten, sondern aus der Verbindung zu dem lebendigen Gott. Es gibt keine Regierung über Ihm und die Kraft seiner Kinder und seiner Gemeinde fließt nicht aus politischen Überzeugungen. Das sieht man daran, dass es in allen politischen Lagern Menschen gibt, die ihren Glauben auf politischen und ideologischen Überzeugungen und Weltbildern gründen oder dies sogar gleichsetzen. Nein, die Kraft fließt aus Gott selbst oder sie bleibt so instabil und wechselhaft wie die Stimmungslagen der Gesellschaft.

Nach Donald Trumps Amtsantritt als Präsident der USA appellierte die Bischöfin der Episkopalkirche von Washington, Mariann Edgar Budde, in ihrer Rede an ihn: "Haben Sie Erbarmen ..." und zählte lauter Menschengruppen auf, die möglicherweise unter ihm zu leiden hätten.

So beeindruckend diese Rede auch war, ich will nicht um Erbarmen bitten. Für den Fall, dass ... will ich niemals Menschen um Erbarmen bitten, sondern Gott möge sich erbarmen und mir die Kraft geben, zu verweigern und diese Worte mit Leben zu füllen:

Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.



 

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