Bedeutung und Wert der Religion

Religion (lat. religio "Berücksichtigung, Rückverbindung zu ... , Sorgfalt", oder lat. relegere "bedenken, beachten, sorgfältig pflegen, wieder-holen, erinnern")

Wie bei so vielen Begriffen, ist es hilfreich zu schauen, was sie eigentlich sagen wollen und meinen. Umso mehr, wenn wir von "Religion" oder "religiös" sprechen, denn vielen kommen direkt bestimmte Assoziationen und Bilder in den Sinn, wenn sie diese Begriffe hören oder lesen; mir selbst passiert das fast reflexartig immer wieder und ich glaube, nicht wenigen anderen geht es ebenso. So denken bei dem Wort "Religion" viele an sakrale Gebäude, an Menschenmassen, die alle das Gleiche sagen und tun (was sehr befremdlich sein kann), an starre und lebensfremde Weltbilder und Lehrinhalte, an alte und unverständliche Kulthandlungen und Gebote. Bei "Kirche" denken vielleicht einige an den Vatikan und an Priester, an Orgelmusik und Gewänder, an feste, formelhafte Abläufe, an die Wiederholung von Texten, in denen gar kein Puls mehr schlägt. Bei dem Begriff "Gott" ist es der "alte, strenge Mann mit Bart", der sich in das Bewusstsein unzähliger Menschen eingebrannt hat ... Alldas hat seine Gründe, seine Geschichte und seine Beispiele, und es wäre unfair zu sagen: "Wie kommst du denn auf sowas? So ist das gar nicht!" Nein, wenn wir in den Kirchen ernstgenommen werden wollen, dann müssen wir auch ernstnehmen, was in den Menschen vorgeht, welche Bilder wir mit unserer Historie geprägt haben und vor allem, was wir vielleicht wirklich noch zu schützen suchen, obwohl es vor unseren Augen zerfällt, wie die Sandburg in der Sonne. 

Dennoch gibt es noch viel mehr dazu zu sagen und das Thema "Religion" wird nicht durch die Gegenüberstellung von Altertum und Moderne geklärt, auch wenn manche das meinen. Wie angestrengt ist die Debatte darum, was man tun darf und muss, um mit der Moderne mitzuhalten und was man nicht weglassen kann und darf, weil man dann sein Allerheiligstes preisgeben würde? Wie abgemüht sind Sätze wie: "Früher waren die Menschen noch gläubig/religiös/kirchlich ...", oder: "Früher hatte die Kirche noch einen Stellenwert in der Gesellschaft ..."? - Man nehme sich einen Moment und frage sich, wie die Kirchen in diese Position gekommen waren, wie es dazu kam, dass alles "christliches Land" war und welche Alternativen es zu den Kirchen gab. Andererseits, wie oft und mantraartig wird die Aussage wiederholt, Religion habe sich überlebt, wir brauchten sie heute nicht mehr und die Welt sei besser dran ohne sie? - Man nehme sich einen Moment und betrachte das Verhalten und Gebaren der Menschen, ihre Heiligtümer, ihre "Gottheiten", Menschenmassen, die alle das Gleiche sagen und tun (auch dort sehr befremdlich), lebensfremde Selbst- und Weltbilder, unverständliche Handlungen ... Das ist (in einer anderen Art und Weise freilich) "religiös" bis hin zu abergläubisch. 

Nein, das Thema "Religion" wird nicht durch die Gegenüberstellung von Altertum und Moderne geklärt. Sie beherbergt etwas Ewiges, oder sie beherbergt gar nichts. Denn das Thema der Religion ist das Ewige, das meint Quelle, Grund und Heimat des Daseins. Ob alte Mythologie, theologisches Traktat oder atheistischer Essay, erstmal berühren sie alle den Saum des gleichen Gewandes. Die Grundfragen unseres Daseins gehen alle an, nicht nur die "Religiösen im klassischen Sinne". 

Was kann nun der Wegweiser sein? Warum ist religiöse Bildung wertvoll?

Der christliche Glaube (andere Religionen und Weltbilder müssen für sich selbst sprechen) hat die Beziehung in seinem Zentrum: die Beziehung Gottes zum Menschen, die Beziehung des Menschen zu Gott und zu den anderen Menschen. Und meines Erachtens ist dies das Korrektiv gegen innerkirchlichen Irrtum und muss der Lebensatem jeglicher religionspädagogischen Arbeit sein. Mit dem, wovon wir reden, dem Evangelium, als Mensch gemeint und gerufen zu sein, das muss unser Anliegen sein. Mit "Mensch" ist jeder Mensch gemeint, so banal das auch klingen mag. Ein "Evangelium der Kirchensteuerzahler" gibt es ebensowenig wie ein Evangelium der Armen, einer bestimmten Ethnie, einer bestimmten politischen Richtung oder einer bestimmten "Randgruppe". Das Evangelium ist für alle Menschen, ohne Unterschied, und dieses Ideal ist mit das wichtigste, das es zu vermitteln gilt, und diese Hürde ist vermutlich mit die schwierigste nach fast zweitausend Jahren Religionsgeschichte. 

Denn tatsächlich haben die Fragen, was das Evangelium Jesu sagt, ob Christentum antik oder modern ist, und ob wir noch ein "christliches Abendland" haben (oder ob es uns verlorengegangen ist) kaum miteinander zutun. Es kann ein Christentum im alten, sakralen Gewand daherkommen und "liberal" sein, es kann modern und medial-effektiv gekleidet und dabei ganz konservativ oder sogar fundamentalistisch eingestellt sein, es kann ein vom lateinischen Christentum geprägtes Abendland gegeben haben (wer will das leugnen?), welches Monarchie und Ständegesellschaft, Aberglaube und grausamste Todesstrafen theologisch legitimiert hat, alles Dinge, die Abbilder einer damals ohnehin bestehenden Reichsordnung waren, aber in Jesu Lehre nicht zu finden. Solange wir den Bestand oder Verlust des "christlichen Abendlandes" diskutieren oder beklagen, verfolgen wir ein Gespenst, aber nicht die Sache Jesu. Solange wir Menschen vorranging als "Mit-glieder" und "Nicht-mehr-Mitglieder" klassifizieren, geben wir einem (zwar nachvollziehbaren) bürokratischen Reflex nach, aber nicht mehr der Weisung Jesu. Dessen Weisung war, nachdem er seinen Jüngern die Füße gewaschen hatte: Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ein Knecht ist nicht größer als sein Herr, und ein Gesandter ist nicht größer als der, der ihn gesandt hat. Wenn ihr dies wisst, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut. (Joh 13,15-17)

Die Schwäche des Christentums in unseren Breiten ist seine Stärke, weil wir zu dem zurückgewiesen werden, was wir eigentlich sind, was uns ausmacht und was unsere Aufgabe ist. "Christlich-abendländische Hoheit" war niemals der Auftrag Jesu, auch wenn manche das Gebot "Gehet hin in alle Welt" damals so ausgelegt haben und teilweise heute noch so auslegen. Denn er machte dieses Gebot stets am Vorbild seiner Person fest: Tut es so, wie ich es getan habe! Die Bedeutung, der Wert, die "Hoheit", die wir haben, ist diese Liebe, die uns entgegengebracht wurde, die allen gilt und sich niemandem verweigert. Daran ist nichts veraltet oder überholt, weil sich an der Sache damals wie heute nichts verändert hat: es soll den Menschen erzählt werden. Es ist das Ewige, das diese Botschaft mitzuteilen sucht, dass wir Quelle, Grund und Heimat unseres Daseins in Gott haben, und die eigentliche Bedeutung von "Religion", die Rückverbindung zu ihm und die Erinnerung. 

 

Mein Herr, lass mich dies nicht vergessen in all meinem Tun und lass mich tun, was Du mich gelehrt hast. Amen



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