Vom Wesen Gottes*



DER VATER

"Lerne zuerst den Vater kennen", heißt es in dem frühchristlichen Brief an Diognet (Diog 10,1), der "die Menschen geliebt" und ihnen gegeben hat, Ihn zu erkennen. Und dies ist auch der Anfang der ganzen Erzählung - der biblischen Schriften - dass ein Einziger wahrer Gott, Schöpfer und Vater aller Dinge ist, aller Welten, der Himmelssphären und Gestirne, der Erde und allem auf ihr, Meere und Landschaften, Pflanzen, Tiere und von uns Menschen, da alles von ihm erschaffen ist. 

Dass er aber der Vater ist, und nicht bloß Schöpfer und Baumeister der Welt, ist eine Erkenntnis, die allein dem Menschen vorbehalten ist, welchem Geist, Vernunft und Rede gegeben ist. Denn die Tiere und Pflanzen folgen zwar treu dem Gesetz des Lebens und der Natur, wie es einem jeden beschieden ist, wissen aber nichts von dem Schöpfer und Vater. Der Mensch wird also nicht einfach nur als ein Tier unter anderen begriffen und auch nicht allein aus seinem Menschsein, wie es der Humanismus tut, als sei er selbst bereits seine ganze Geschichte und alles, worauf er setzen und woraus er erkennen kann. 

Eine Gottheit und ein Schöpfer mag aber dunkel, unnahbar und verborgen sein, wie es auch heißt: Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, der Heiland (Jes 45,15), und viele Völker und Kulturen auf der ganzen Welt ahnten zwar den Urheber und Gott aller Dinge, der über allen Göttern und Mächten steht, kannten ihn aber nicht und waren ihm nicht vertraut. Und so empfinden bis heute nicht wenige Menschen, dass sie zwar einen Gott und Schöpfer nicht leugnen, ihn denken und glauben können, aber Liebe und Vertrauen zu ihm können sie nicht fassen. 

Wer ihn aber sucht und versteht, dass all dies Geschaffene, mit all seiner Schönheit und all seinen Gebrechen, nicht Blindheit und Gleichgültigkeit sein kann, der wird ihn erkennen und lieben lernen als Vater, der uns die Freiheit lässt zu verfehlen - denn nur das kann Freiheit sein -, und der uns zwar manches zumutet im Leben, der aber auf diesem ganzen Wege bei uns ist. Denn er ist ja nicht nur über uns als Schöpfer und betrachtet sein Werk aus der Ferne, sondern auch um uns, da alles von ihm geschaffen ist, und in uns, da wir seine Geschöpfe sind, wie der Himmel über uns ist als Firmament, um uns im Winde und in uns, die wir atmen. Das aber vermag er, weil er Geist ist, und deshalb wird er im Geiste und im Glauben erkannt und verehrt, wie es heißt: Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten (Joh 4,24).

Diesen Weg und diese Schule aber haben alle Menschen zu durchlaufen, denn wir sind in diese Welt gegeben und kennen den Lebensgeber nicht und die Beziehung, die wir zu ihm haben, der uns den Atem eingehaucht hat. Zwar ist den Neugeborenen und Kindern diese Hingabe und Beziehung noch natürlicherweise eigen, nicht aber das Wissen, und es begleiten zwar viele Menschen Ahnung und Sehnsucht in ihrem Leben, sie blieben aber ohne Erkenntnis, wenn er sich ihnen nicht mitteilte. Alle Menschen sind zunächst unwissend und erkennen Gott nicht, weswegen er sich ein Volk ausersehen und den Menschen kundgetan hat (Gen & Ex), damit die Welt erfahre, wer er ist, und der Mensch erkenne, wer er selbst ist. Denn die Erkenntnis Gottes führt zur Selbsterkenntnis.

 

DER SOHN

 Die Erkenntnis Gottes, die er den Menschen verheißen hat, kam in seinem geliebten Sohn zu uns und offenbarte uns, wer er ist. Denn der Vater wird durch den Sohn erkannt, wie es heißt: Wer mich sieht, der sieht den Vater! (Joh 14,9), und: Das ist das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen (Joh 17,3). Denn die Beziehung, die der Mensch zu Gott hat, die zeigte uns der Sohn durch sein ganzes Leben, und die Liebe, die Gott zu uns hat, zeigte er uns durch die Worte und die Werke seines Sohnes. Wie Adam, der Mensch, das Zeichen der ganzen dem Tode unterworfenen Menschheit und Schöpfung ist, so ist der Sohn das Zeichen des Menschen, der aus Gott lebt und in dem Sünde und Tod überwunden sind, die Menschen versöhnt und die Welt erneuert. Aus Liebe hat er uns, die wir verloren waren in dieser Welt, all dies gelehrt und geschenkt und sein Leben für uns dahingegeben. 

Denn es war zwar den Menschen das Gesetz und die Ethik gegeben, und allerlei Symbole und Zeichen über die göttlichen Geheimnisse, die sie nicht verstanden, sie besserten sie aber auch nicht und Gott blieb ihnen verborgen hinter Feuer und Gesetz, und die Erkenntnis verwehrt. Denn das Gesetz kann, so gut und richtig es auch sei, uns nicht helfen, wenn es die einzige Verbindung zu Gott ist. Weder bringt es in irgendeiner Religion den Menschen zur Erkenntnis noch in irgendeiner Theorie der Welt, die die Verbindung zu einem schöpferischen Prinzip nur über Gesetze versteht. Das Gesetz zeigte vielmehr die menschliche Unvollkommenheit, und die ganzen unverstandenen Regeln und Zeichen waren Vorbilder und Schatten des Zukünftigen. Diese Zukunft ist im Sohn Gottes angebrochen wie das Morgenrot am Horizont, wie es heißt: Kehret um, denn das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen! (Mt 4,17), und: Das Reich Gottes ist mitten unter euch (Lk 17,21).  

Alles ist jetzt gewendet, was die Beziehung zwischen dem Geschöpf und dem Schöpfer betrifft, alle Erkenntnis Gottes durch den Sohn gelehrt und alles infragegestellt, was in die alte Unkenntnis zurückkehrt, es kleide oder nenne sich sogar christlich. Denn er kam und lehrte die Menschen, die Juden zuerst und ferner alle Völker, dass er nicht gekommen sei, das Gesetz und die Propheten aufzuheben, sondern zu erfüllen (Mt 5,17). Denn er erfüllte die göttliche Ethik, überwand die menschliche Unvollkommenheit, die Sünde und den Tod (welche das Gesetz zeigt), und vollendete die Sehnsucht Israels und den Ruf Gottes an die Menschen (das zeigen die Propheten). Durch all das, sein Leben, seine Rede und sein Werk, zeigte er Jenen, denen die Lehre und das Volk anvertraut war, Gottes wahres Wesen (Mt 9,13), rief die in alle Welt zerstreuten und verlorenen Schafe Israels zu sich (Mt 15,24; Rö 15,8) und nahm auch die fremden Völker mit auf, wie er versprochen hatte: Und ich will ihn mir in das Land einsäen und mich erbarmen über Lo-Ruhama, die Unbegnadigte, und will sagen zu Lo-Ammi, dem Nichtvolk: "Du bist mein Volk", und er wird sagen: "Du bist mein Gott." (Hosea 2,25; 2,1; Rö 9,25.26; 11,17-24)

 

DER HEILIGE GEIST

Was der Sohn uns geschenkt und gelehrt hat, als er bei uns war, das gab er nicht allein durch seine Predigt, als ob Worte unsere einzige Mitgift wären, sondern durch sein ganzes Leben und seine Werke, wie bereits erwähnt. Denn er verkündigte nicht nur die Lehre und den Weg, wie es Lehrmeister tun, sondern er ist selbst die Lehre und der Weg, und er brachte nicht nur das Evangelium, wie es Boten tun, sondern er ist es selbst. 

So zeigte er, dass die Liebe zu Gott und zu den Menschen der wahre Gottesdienst seien und - untrennbar miteinander verbunden - alles Gesetz und alle Propheten erfüllen (Mt 22,34-40). Und so zeigte er die Liebe Gottes zu den Menschen und das neue Leben, das ihnen verheißen ist, durch zahlreiche Heilungen und Wunder. Denn die Heilungen der der unvollkommenen Welt unterworfenen Menschen sind Zeichen der Auferstehung und der Vollendung des Gottesreiches, und die Wunder erinnern daran, dass Gott Herr dieser Welt und all ihrer Gesetze ist, mag sie auch gebrechlich sein und alles Leben verwundet. Zugleich gibt er mit seinen Heilungen nicht nur eine einseitige Lehre, als gehe es allein um die Heilung des Körpers, sondern eine tiefere, wie wir sagen, geistliche. Denn wenn er Blinde sehend macht und Taube hörend, Stumme redend und Lahme gehend, hat er nicht allein Augen geheilt, sondern auch Erkenntnis geschenkt, nicht allein Ohren geöffnet, sondern verständig gemacht für die gute Lehre, nicht allein die Zunge gelöst, sondern Stimme und Sprache wiedergegeben, nicht allein das Gebrechen weggenommen, sondern den Menschen wieder aufgerichtet und auf den Weg des Lebens gestellt, damit er gehe. 

Doch blieb es nicht dabei, dass er die Botschaft und die Verheißungen Gottes in die Welt brachte, sondern auch das Ungemach dieser Welt, das Leid und das Schicksal der Menschen, all ihren Zorn auf Gott, ihre Unversöhnlichkeit, ihren Hass und ihre Sünde nahm er auf sich. Er wurde abgelehnt, angeklagt, verurteilt und hingerichtet wie der schändlichste Verbrecher und ans Kreuz geschlagen, für alle sichtbar hingestellt und ausgebreitet vor aller Augen. Dort zeigte und teilte er die Verworfenheit und Schicksalsgemeinschaft der Menschenkinder, fühlte sich verlassen wie wir, war als Sohn Gottes verhasst von vielen, vergab seinen Hassern, den Unwissenden und Untreuen, und sprach seine Hingabe für den geliebten Vater aus, wie er sagte: Vater, in deine Hände gebe ich mein ganzes Wesen! (Lk 23,46) So verworfen, hingerichtet, gestorben und begraben, ist er allen Wesen und Geistern, welche auch immer die Menschen verehrt und angebetet haben, und allen vergangenen Geschlechtern eine Lehre geworden, wie Petrus andeutete (1Petr 3,19.20).

Der Vater aber überließ seinen geliebten Sohn nicht dem Tode, sondern erweckte ihn und zeigte uns damit, dass der Tod überwunden sei und er seine geliebten Kinder, seine Söhne und Töchter, die wir sind, nicht dem Tode und dem Schicksal dieses Lebens überlassen wird. Sondern der Lebensgeber hat die Macht, uns das Leben neu zu geben, und ehrt mit der Auferstehung nicht nur den Geist, sondern auch den Leib, denn wir sind leibliche Wesen. 

Dieses Geheimnis aber verstehen und glauben zu können, damit ließ uns der Sohn nicht alleine, als er diese Erde verließ, sondern sandte uns den Heiligen Geist als Weggefährten, Lehrer und Tröster, damit wir mit ihm verbunden sind, miteinander einträchtig und eines Sinnes als Glaubende, damit wir zu beten verstehen und zu sprechen fähig sind, damit wir in aller Anstrengung und Bitterkeit Kraft haben, uns selbst und anderen zu helfen in ihrem Leid und ihren Sorgen; damit wir die Schrift verstehen und Erkenntnis haben über die Geheimnisse Gottes.

Dieser Geist Gottes aber redet nicht von sich selber, wie Jesus sagte, sondern verkündet den Sohn, und der Sohn - dem unsere tiefste Liebe und aller Dank gelten - verkündete niemals sich selbst, sondern den Vater, den Gott und Schöpfer aller Dinge, dem alle Ehre sei in Ewigkeit! Amen


* Dies ist ein Versuch über das Wesen Gottes. Vom Wesen Gottes zu reden kann nur korrekturbedürftig, ergänzungsbedürftig und unvollkommen sein. Denn Er ist zu groß und wunderbar. 



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