Hiob, das Unglück und die Auferstehung




Ich aber weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er sich über dem Staub erheben und vor mir stehen; und ist auch meine Haut noch so zerstört, ich werde doch Gott sehen, aus meinem Fleisch heraus werde ich ihn sehen, mit meinen eigenen Augen, ich und kein anderer; (Hiob 19,25-27)

Das sagt Hiob in einem der schönsten Sätze des ganzen Buches. Mit einem einzigen Satz bezwingt er all das Verderben, das über ihn gekommen ist, das sein ganzes frommes und wohlhabendes Leben zerstört, seine Kinder genommen, seine Ehe zerrüttet und seine Gesundheit schwer angegriffen hat. Der Satan, so erzählt es die Geschichte am Anfang, hatte vor Gott Hiobs Treue angezweifelt und eine Probe vorgeschlagen: "Jetzt geht es ihm gut und er hat alles und ehrt dich. Aber lass mich ihn antasten und du wirst sehen, wie er dir abschwört und dich verflucht!" Gott gestattet es, nur soll Hiob am Leben bleiben. (vgl. Hiob 1,6-12) So brechen lauter Unglücke über Hiob herein, zuerst wird sein großer Besitz von umliegenden feindlichen Stämmen geraubt, dann kommen seine Söhne und Töchter bei einem Sturm ums Leben. Hiob leidet zutiefst, hält aber Gott die Treue und lobt ihn. Die Szene wiederholt sich, der Satan tritt mit den anderen Gottessöhnen vor Gott auf, zweifelt wieder Hiobs Glauben und Rechtschaffenheit an, wenn ihm nur genug Leid widerfährt (vgl. Hiob 2,1-7). Bisher war es nur das, was er "besitzt", er selbst aber war verschont geblieben. Haut um Haut, spricht der Satan, der Mensch gibt ja alles, was er hat, für sein Leben. Aber strecke deine Hand aus und taste seine Knochen und sein Fleisch an, dann wird er sich von dir lossagen!

Wieder gestattet Gott es und Hiob wird von schlimmen Geschwüren und Wunden befallen, das, was man "Elend" nennt, hat sein Höchstmaß erreicht. Hab und Gut, die geliebten Menschen und die eigene Gesundheit, alles ist zerschlagen worden und der Mann Hiob ist zu einem Drama geworden. Er bleibt still, setzt sich in die Asche (ein Zeichen für die Vergänglichkeit des Lebens) und sogar seine Frau kann es nicht mehr ertragen und sagt ihm, er solle Gott absagen und sterben. Hiob aber bleibt, wie es im Hebräischen heißt, tummah, "unsträflich, vollkommen". "Wir haben soviel Gutes von Gott empfangen und nehmen es an, und das Böse sollten wir nicht annehmen?", erwidert er und verbleibt in seiner Haltung. Nun hat sich also auch noch seine Frau von ihm entfremdet, die das Unglück nicht mehr aushält und ihren Mann so nicht mehr ansehen kann, und der letzte Trost, der einem Leidenden noch bleibt, Partnerin oder Partner, ist dahin.

Hiobs Freunde hören von seinem Schicksal und kommen zu ihm, um ihm beizustehen. Das tun sie zunächst auf großartige Weise: sie setzen sich still zu ihrem Freund, sieben Tage und sieben Nächte, und sind einfach nur da. Im Judentum gibt es später und bis heute den Brauch des Schiv`a: die Angehörigen eines Verstorbenen sitzen die ersten sieben Tage nach der Beerdigung auf niedrigen Stühlen und trauern gemeinsam.

Als Hiob dann seine Stimme erhebt und sein Unglück beklagt, ist auch das Schweigen der drei Freunde beendet und sie halten lange Reden darüber, was wohl der Grund für Hiobs Elend sei. Sie alle suchen, wie es die Art von uns Menschen ist, den Sinn des Geschehens zu erfassen, und das tun wir, indem wir Kausalzusammenhänge zu ermitteln versuchen: "Das ist so gekommen, weil ..." Auf diese Weise will der Mensch Kontrolle (wieder-)erlangen über Ereignisse und Schicksale, denen er ansonsten ausgeliefert ist. Zudem war dort ein Verständnis vorherrschend, das durchaus seine Berechtigung hat, nämlich die Erfahrung, das Tun und Ergehen zusammenhängen, oder das Prinzip von Saat und Ernte (vgl. Gal 6,7). Was dir widerfährt, ist Gottes Heimsuchung aufgrund deiner Verfehlungen und Sünden.

Jahrhunderte später werden Jesu Jünger ihm eine solche Frage stellen, als sie einen blinden Menschen sehen: "Wer hat gesündigt, dass er so blind geboren wurde, er oder seine Eltern?" "Weder noch", antwortet Jesus ihnen, "sondern heute wird Gottes Herrlichkeit an ihm offenbar", und er heilt den Blinden (vgl. Joh 9,1-7) Jesus gestattet hier keine Herleitung von Gründen, von Verfehlung und Gebrechen, sondern er heilt den Menschen und weist damit auf die Auferstehung. Jesu Heilungen sind immer beides: Zeichen der Vergebung und Erlösung und Zeichen der Auferstehung und der Vollendung von Gottes Reich. Menschliches Gebrechen ist da, welcher Form auch immer und welcher Ursache auch immer, die man teilweise ausfindig machen kann; das Geschöpf, die ganze Schöpfung, sie sind verwundet und unvollkommen, das ist offensichtlich und braucht nicht lange debattiert zu werden. Die Beweggründe, warum Gott diesen so und jenen so ins Leben gab, sie gehen uns erstens nichts an und zweitens würden wir sie gar nicht verstehen. Wie er sie aber liebt, diesen und jenen, sie alle, das ist es, was wir wissen müssen und wozu der Sohn Gottes gekommen ist, es uns zu zeigen. 

So hält auch Hiob gegen alle Reden seiner Freunde daran fest: "Ich bin unschuldig! Ich habe nichts getan, was dieses Unglück erklären kann!" Und in all dem verständlichen Wehklagen, in all dem Kummer, den er frei und offen äußert, leuchtet jener Satz auf wie ein helles Licht: Ich aber weiß, dass mein Erlöser lebt! Und ich werde ihn sehen, sagt er, mit meinen eigenen Augen, aus meinem Fleisch (basar), ich, und kein Fremder. Die Hoffnung auf die Auferstehung verkündet er hier in einer Zeit (man vermutet ca. 1000-500 v. Chr.), als dieser Glaube noch nicht so allgemein etabliert war, wie er es heute in Judentum, Christentum und Islam ist, oder sogar großteils noch fremd. Die Menschen damals glaubten, ihnen sei dieses Leben hier gegeben, hofften, möglichst "alt und lebenssatt" zu sterben, zu den Vorfahren versammelt zu werden und in der Nachkommenschaft weiterzuleben (vgl. 1Mo 25,8 & 1Mo 13,16). Im Scheol, dem Totenreich, existierte man in einer Art Dämmerzustand, der nicht wirklich bzw. gar nichts mit Leben zutun hatte. Die Kerze war erloschen, mehr wusste man nicht. Jene geheimnisvollen Stellen in den biblischen Schriften (wie hier bei Hiob), die schon sehr früh die Auferstehung ahnen lassen, sind wie goldene Fäden in das Gewebe eingelassen, ähnlich der Hoffnung auf den Messias; keine durchdeklinierte, "fertige" Welterklärung, sondern lebendig-gewachsene Geschichte, Offenbarung und Erkenntnis. 

Ich werde ihn sehen, sagt Hiob, ich, und kein Fremder. Der Erlöser und die Auferstehung, sie hängen untrennbar zusammen. Beides war eine Frage der Gerechtigkeit. Wenn der Ewige, der diese Welt geschaffen hat, eines Tages Gerechtigkeit aufrichten wird, eines Tages Sein Reich vollenden wird, dann bleiben wir nicht im Tode, sondern dann wird er uns erwecken. Denn niemand, so glücklich und lebenssatt er oder sie auch sterben mag, kommt ganz zu seinem oder ihrem Recht, und selbst wenn man das für sich selbst behaupten würde, sind da immernoch unzählige andere und nicht zuletzt Gott selbst, der in dieser unserer Welt nicht den Platz hat, der ihm gebührt. Es ist nicht recht, wie es in dieser Welt zugeht. Deshalb konnte die Vorstellung, man lebe sein Leben, zeuge Nachkommen, sterbe "lebenssatt" und lebe in seinen Kindern und Kindeskindern fort, alleine nicht durchhalten. Wenn der Ewige der Gott aller Menschen ist, dann ist das zu wenig. Wenn der Lebendige eines Tages Sein Reich vollenden wird, dann kann der Tod nicht bleiben und wir können nicht in ihm bleiben. Wenn er uns so gewollt und geschaffen hat, wie wir sind, dann wird kein "Fremder", keine "Fremde" auferstehen und Gott sehen, sondern ich werde ihn sehen, mit meinen Augen, ich, und kein Fremder. Wenn er, der uns Leib und Sinnlichkeit geschenkt hat und uns bereits hier so wunderschön gemacht hat, uns neues Leben geben wird, dann werden wir nicht einfach "Geister" sein, irgendwelche spirituellen und undefinierbaren Wesen ohne Gesicht, sondern "aus unserem Fleisch" werden wir leben und da sein. Die biblische Erzählung und Hoffnung ehrt den Leib, sie verneint ihn nicht, sie ehrt das Leben, nicht den Tod.

Sie ehrt all das, was Hiob genommen wurde in seinem Unglück und worum er trauert. Er beklagt schließlich direkt vor Gott sein Schicksal und erhält die Antwort, die wir schon berührt haben: "Wer bist du, Menschenkind, dass du dies auszuloten versuchst?" (vgl. Hiob 38-41) Hiob sieht seine Unwissenheit ein, bittet um Vergebung, sowohl für sich als auch für seine Freunde, und der Ewige wendet sein Geschick. Hiob erhält ein erfülltes Leben wieder (vgl. Hiob 42). Und jene Einsicht, die ihm im schlimmsten Übel aufgeleuchtet ist und die seine ganze Rechtfertigung und Zuversicht gegen die Spekulationen seiner Freunde und gegen alles Verderben in der Welt war, jene Einsicht wird er wohl nie mehr vergessen haben: Ich aber weiß, dass mein Erlöser lebt.

All diese goldenen Fäden im Gewebe, die immer stärker durchschimmerten in den Gedanken, in den Herzen, in den Sehnsüchten und Hoffnungen Israels, in den Worten und Visionen der Propheten, in den Verheißungen Gottes, sie fanden ihr Leben und ihre Erfüllung in dem Sohn, der kam und der Jesus genannt wurde. Dieser Erlöser, der sich über dem Staub erheben wird, das sei er, versichert er an einer Stelle gegenüber Martha, deren Bruder Lazarus gestorben war. "Ich weiß, mein Bruder wird auferstehen am Jüngsten Tag", sagt die trauernde Martha, worauf er erwidert: Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. (Joh 11,25)



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