Thomas und die entscheidende Frage des Menschen


Ostern ist vorbei. Die Kirchen in aller Welt haben dieses "höchste Fest der Christenheit" gefeiert und in unzähligen Predigten, Andachten, Gebeten und Liedern den Menschen von der Passion, dem Kreuzestod und der Auferstehung des Jesus von Nazareth erzählt. Das höchste Fest, und zugleich die größte Herausforderung an den Menschen. Bis dahin war alles noch einigermaßen annehmbar gewesen: Jesus, ein jüdischer Wanderprediger, der den Leuten von der Liebe Gottes erzählt und Kranke geheilt hat (die Wunder kriegt man noch irgendwie metaphorisch zurechtgelegt im Verstand); ein Mann, der in seiner Zeit und Kultur etwas unkonventionelle Ansichten vertrat und deshalb etwas "aus der Reihe tanzte", aber das stört uns moderne Menschen ja nicht, denn wir haben dieser und anderer Reformen ja unseren heutigen Lebensstandard mit zu verdanken. 

Jetzt aber kommt für sehr viele Menschen eine Zumutung nach der anderen. Diese Passion, diese Leidensgeschichte ist schon nicht sehr schön, man mag sowas eigentlich nicht ständig anschauen und hören, man will sich das nicht ständig zu Gemüte führen. Und die Christen machen das sogar (mindestens) einmal im Jahr und reden ja auch sonst öfters darüber. In Romanen und Filmen, ja, in Geschichtsbüchern, ja, da ist das genehm, aber nicht mit diesem Ernst, dieser Beständigkeit und Wiederholung - das behagt nicht so sehr. Aber man spürt dieser Geschichte um diesen Mann doch die tiefe Liebe ab, die er selbst und seine Nachfolger gehabt haben, und deshalb gehts noch an. Ein schreckliches Schicksal. Schade um diesen Jesus, er war sympathisch nach allem, was man von ihm wissen kann. Es ist ja nicht so, dass er nicht beliebt wäre unter den Menschen. 

Thomas Jefferson (1743-1826), der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, hatte sich damals eine eigene Bibel entworfen und sie endet an dieser Stelle: Jesus ist gestorben, die Jünger waren traurig, man denkt in Liebe an ihn. Er konnte das, was die biblischen Schriften fernerhin erzählen, nicht für sich annehmen, und schnitt sich buchstäblich ein eigenes "Evangelium Jesu" zurecht, die sogenannte Jefferson-Bible. Er schnitt aus allen vier Evangelien Textpassagen aus, fügte sie sinngemäß zu einer Biografie zusammen, ließ Wundergeschichten, Dämonenaustreibungen und die Auferstehung weg, und war damit zufrieden. Er ist, soweit ich weiß, der erste, der sowas in dieser Art und Weise gemacht hat, und schaut man sich heute um, dann ist er exemplarisch geworden. Das beherzte "Nein!" zu gewissen Glaubensinhalten ist fast schon inner-christliche Tugend geworden.

Das darf man nicht aburteilen, denn wer will es verdenken? Es ist eine Zumutung, die auf den Kreuzestod Jesu folgt, bei dem wir gerade stehengeblieben waren: Er ist von den Toten auferstanden und seinen Jüngern erschienen, und diese Begegnung mit dem Auferstandenen wird quasi der Beginn dieser Jesusbewegung; mehr noch, es wird der Beginn der Frage, ob dieser Jesus nicht einfach nur ein spiritueller Lehrer, ein reformjüdischer Wanderprediger oder der erwartete Messias sei, sondern ob er Gott sei; es wird der Beginn einer langen theologischen und philosophischen Auseinandersetzung in der Kirchengeschichte, was das zu bedeuten habe. 

Wie gesagt, hier häuft sich eine Zumutung auf die andere, und frommere Gemüter dürfen nicht unfair sein und so tun, als sei das alles kein Thema, es "stehe ja geschrieben" und "Gott kann ja" ... Welcher Christ damit noch nicht gestritten hat in seinem Innern, der muss es noch, denn es gehört dazu. Sonst verlieren wir die Faszination und den Zauber dieser Erzählung, verlieren das Mitgefühl für die Menschen, die von dem Eindruck bedrängt werden, dass der Tod das Letzte sei.

Man stritt damit, damals wie heute. Es ist nicht so, wie manche meinen, damals in der Antike habe man solche Sachen geglaubt aber heute seien wir ja "aufgeklärt". Die Menschen damals glaubten es genauso schwer wie die Menschen heute, wie die Apostelgeschichte berichtet: Als sie aber von der Auferstehung der Toten hörten, spotteten die einen, die anderen aber sprachen: Wir wollen dich darüber nochmals hören! Und so ging Paulus aus ihrer Mitte weg. (17,32)

Man stritt damit, damals wie heute, auch unter den Jüngerinnen und Jüngern Jesu. Johannes berichtet, als Jesus zum ersten Mal den Jüngern erschien und sie es dann Thomas erzählten, der nicht dabei gewesen war, glaubte er ihnen nicht: Wenn ich nicht selbst die Wundmale an seinen Händen und an seiner Seite sehe und sie berühre, so werde ich es niemals glauben! (Joh 20,25) Acht Tage später kommt Jesus wieder zu ihnen und spricht Thomas direkt an. Er soll ihm seine Hände reichen und seine Wundmale berühren. Und Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus aber spricht zu ihm: Thomas, du glaubst jetzt, weil du mich gesehen hast; glückselig sind, die nicht sehen und doch glauben! (Verse 28 und 29)

Thomas ist ein kritischer Kopf und uns allen doch sehr nahe. Diese Dinge sind nicht niedergeschrieben, um eher abfällig über den "ungläubigen Thomas" zu sprechen; sie sind uns niedergeschrieben, um zu zeigen, dass all diese ernsten Fragen und Auseinandersetzungen im Menschenherzen doch seit der "ersten Stunde" da sind, dass es sie braucht, um zu der Erkenntnis zu kommen: es ist mein Herr und mein Gott! Wenn ich es selbst nicht gesehen, nicht selbst geprüft, nicht selbst erkannt habe, dann mögen mir die Kirchen doch viel erzählen, es wird niemals wahr, niemals lebendig im Herzen. Das ist sozusagen eine "thomas`sche Denkweise" und sie ist so nachvollziehbar. Das, was ihr dort gerade erzählt, ist von solcher Bedeutung, von solch entscheidender Bedeutung, dass ich das nicht einfach glaube, weil ihr es erzählt, auch wenn ihr meine Freunde seid, sondern das muss ich selbst sehen, das geht mich allein an! Das, was wir in den Kirchen erzählen, letztlich geht es den Menschen allein an.

Jesus ist es, der Thomas anspricht und seine Hände führt - er nimmt ihn, nicht umgekehrt. Er kommt nicht zu den Jüngern und wartet, dass Thomas sich vorsichtig nähert, sondern er geht ihn direkt an, als würde er sagen: Du konntest es nicht glauben, nicht wahr? Aber komme her zu mir! Wie es Zeit seines Lebens war, alles an Jesus ist dieses "Kommet her zu mir!"

Die Geschichte wird weitergehen, die Jüngerinnen und Jünger Jesu werden die Botschaft des Auferstandenen überall in der Welt erzählen und es werden unzählige Menschen sein, die Jesus nicht so überprüfen können wie Thomas dort. Auch an sie, an all diese Menschen, an uns denkt Jesus, als er das zu Thomas sagt: Glückselig sind die, die nicht sehen und doch glauben! - denn das betrifft alle Menschen fortan. Im Ersten Petrusbrief heißt es ebenso: Ihn habt ihr nicht gesehen, und habt ihn doch lieb. (1Petr 1,8a) 

Wir alle sind das, Christinnen und Christen auf dieser Welt, bis auf den heutigen Tag, die an den glauben und den lieben, den sie nicht gesehen haben. Es sind nur Glaube und Liebe, die diese größte Herausforderung, dieses "höchste Fest der Christenheit", diese Zumutung meistern können. Von diesem Jesus zu hören und zu lesen und ihn so lieb zu gewinnen, dass es einen nicht mehr in Ruhe lässt; ihn (am besten) so sehr in seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern leben zu sehen, sprechen zu hören, handeln zu sehen, dass man diese Gemeinschaft auch haben will; so verwundet zu sein im Leben und so bettelarm in der Seele, dass keine falschen Versprechungen mehr täuschen können ... all das sind Gelegenheiten oder Stationen im Leben (und es gibt sicherlich noch mehr), in denen der Heilige Geist diesen Glauben entfachen und den Menschen erleuchten kann - und Ostern ist dann niemals vorbei.


Ach, Herr Jesus, lass uns niemals in Ruhe. Lebe Du in uns, sodass Menschen Dich durch uns erblicken, durch uns vernehmen und handeln sehen. Rufe Du all jene zu Dir, die so verwundet sind im Leben und so bettelarm in der Seele, all jene, die wirklich wissen, was das heißt: Entweder finde ich Gott oder ich bin verloren! Rufe ihnen "Kommet her zu mir!", wie Du es immer getan hast, nehme ihre Hände, wenn sie denken, sie können es niemals glauben, all jene, die der Gedanke bedrängt, der Tod sei das Letzte. Sage es ihnen: Ich lebe, und ihr sollt auch leben. Amen



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