"Rahel beweint ihre Kinder" - Die Flucht der Familie Jesu nach Ägypten und der Kindermord in Bethlehem

Eine Stimme ist in Rama gehört worden, viel Jammern, Weinen und Wehklagen; Rahel beweint ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, denn sie sind nicht mehr. (Mt 2,18; vgl. Jer 31,15)




Diese Worte des Propheten Jeremia greift der Evangelist Matthäus in seinem Bericht des Lebens Jesu auf. Er verleiht damit dem Drama eine Stimme, das sich nach Jesu Geburt in Bethlehem und der umliegenden Gegend ereignete. 

Jesus war in Bethlehem geboren worden und Sterndeuter aus dem Morgenland hatten sich beim damaligen König Herodes nach ihm erkundigt: "Wo ist der neugeborene König der Juden? Ein Stern hat uns hergeführt, in diese Gegend, denn hier soll er geboren sein. Und wir sind gekommen, um ihn zu ehren." Herodes, von der römischen Oberhoheit über das Gebiet Judäa zum König eingesetzt, war erschrocken über diese Nachricht, denn er sah seine Machtstellung dadurch angetastet. Er ließ die Priester und Schriftgelehrten kommen, die ihm die alte Verheißung bestätigten: Der Messias, der ersehnte König Israels, sollte in Bethlehem geboren werden. So schickte Herodes die Weisen aus dem Morgenland los, um das Kind zu finden und ihm dann Bescheid zu geben. "Auch ich will dann kommen, um es anzubeten!", behauptete er vor ihnen.

Er machte sich nicht die Mühe, das Kind selbst zu suchen, geschweige denn, sich damit auseinanderzusetzen, was diese Verheißung und dieses Kind bedeutete; das tun Menschen mit einer solchen Gesinnung nie. Er wollte lediglich, dass dieses "Problem" beseitigt wird und setzte darauf, dass die fremden Reisenden seiner Anweisung gehorchten. Und wenn sie das Kind finden und ihm Nachricht geben würden, dann würde er immernoch nicht selbst kommen, dem Kind selbst in die Augen sehen, sondern er würde Leute schicken um es zu töten. Dieser König tut in dem ganzen Bericht des Matthäusevangeliums nahezu nichts, außer "Eingesetzt-sein" durch Rom, um seine Macht zu fürchten, zu hassen, Befehle zu erteilen und letztlich zu sterben. Was für ein herrschaftliches Leben! Was für ein Trauerspiel! 

Der neugeborene König, den Herodes beseitigt haben will, wird ganz anders sein. Er wird alles selbst tun. Er wird unentwegt handeln, er wird verstehen, er wird reden, er wird sich auf die Suche machen nach den Menschen, wird die Schwachen aufrichten, die Trauernden trösten und die Kranken heilen. Seine Kleider sind nicht weich, sondern sein Gewand ist rauh und seine Füße sind staubig von der Erde und schmerzen von langen Wegen. Er ist nicht eingesetzt von irgendeinem Staat, weder von Rom noch sonst irgendeinem Reich; er fürchtet nicht um seine Macht, er hasst nicht, sondern er liebt, er erteilt keine Befehle, sondern er zeigt den guten Weg. Man wird ihn später den "König der Könige" nennen, den Maßstab all dessen, was sich König oder königlich nennen darf. 

Die Weisen aus dem Morgenland finden diesen König in einer einfachen Herberge, Kind einfacher Eltern, ohne Hofstaat, ohne Prunk, ohne Schätze und kostbare Gewänder - und sie missverstehen es nicht, berichtet Matthäus, sondern verehren ihn und bringen ihm ihre Geschenke: Gold, Weihrauch und Myrrhe, königliche Geschenke für eine arme Familie. Im Traum werden sie gewarnt, heißt es, nicht zu Herodes zurückzukehren, und so ziehen sie auf anderem Wege zurück in ihre Heimat nach Persien. Als Fremde aus einem anderen Volk, einer anderen Kultur und Religion waren sie den weiten Weg gekommen und wussten den König mehr wertzuschätzen als jene aus dem Volk, das ihn erwartet hatte und für sich beanspruchte. Das wird sich immer wieder zeigen im Laufe der Geschichte und uns den Spiegel vorhalten, dass andere ihm mehr Achtung und Respekt entgegenbringen als wir, die wir uns Christen nennen, oder an anderen Menschen tun, was in seinem Sinne ist, obwohl sie sich nicht zu ihm bekennen. So auch diese Weisen aus Persien, Zarathustrier vermutlich, die das Land nicht als konvertierte Juden (geschweige denn als Christen) verließen, sondern eine Begegnung nahmen sie mit: Den neugeborenen König, den, den wir gesucht haben, wir haben ihn gefunden!

Doch immernoch war dieser "König" in Gefahr: Herodes würde bald merken, dass die persischen Sterndeuter ihm ausgewichen waren. So wurde auch Josef, Jesu Vater, im Traum von dem Engel Gottes gewarnt, er solle Frau und Kind nehmen und nach Ägypten flüchten. Wieder ein fremdes Land, das ihn, den neugeborenen König, aufnimmt, sogar jenes Land, das zweitausend Jahre zuvor die Hebräer versklavt hatte; jetzt wird es zum Zufluchtsort für die kleine Familie. Alle Feindbilder, die das menschliche Gemüt so gerne bedient und pflegt, werden in dieser kurzen Erzählung gekippt. "Aus Ägyptenland habe ich meinen Sohn gerufen", zitiert Matthäus (vgl. Hos 11,1) und sagt uns damit: All das reicht tiefer, als wir und unsere oft oberflächlichen und voreingenommenen Auffassungen ermessen können.



Dann kommt das Drama: Herodes begreift, dass die Weisen nicht zu ihm zurückkommen, wird zornig und lässt alle Jungen bis zu zwei Jahren in seinem Herrschaftsgebiet töten, um sicherzustellen, dass dieser angekündigte König ausgelöscht wird. "Die Stimme in Rama erklingt", zitiert Matthäus nun, "Jammern und Weinen und Wehklagen; Rahel weint um ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, weil sie nicht mehr sind." Rama bedeutet "Anhöhe, Hügel": von dort aus schaut der Prophet auf das Geschehen und sagt, Rahel, die Stammmutter der israelitischen Stämme, weint um ihre Kinder ...

So viel Verheerung und Leid durch den einfachen Befehl eines ansonsten so untätigen Menschen, der einfach nur "König" sein will. So viel Unruhe, Zorn und Grausamkeit wegen eines neugeborenen Kindes, wegen einer Prophetie, der er ja offensichtlich glaubt, die er aber nicht hinnehmen will. Darunter haben dann zahlreiche andere Kinder zu leiden und zu sterben, zahlreiche Eltern vergehen vor Schmerz wegen des einfachen Befehls eines sogenannten Königs und seines Wahnsinns. Leider sind all solche Dinge nicht Vergangenheit, sondern finden sich bis heute in der Welt. Sie nennen sich Könige oder Präsidenten, das ist einerlei, es ist ihnen die Regierung über andere anvertraut und daran haben sie sich zu erweisen; es seien die Kinder Rahels oder die Kinder anderer Völker, da ist kein Unterschied, wenn alle Menschen Gottes Kinder sind und wenn alle - sowohl aus Israel als auch aus den "fremden Völkern" - zu Gott gerufen sind. Denn genau das ist die Geschichte dieses "neugeborenen Königs", die Matthäus hier einleitet: er wird erweisen, was Königtum bedeutet und wird die Grenzen der Völker hinwegnehmen.

Herodes hat den "neugeborenen König" nie gesehen, der ihn so sehr in Aufruhr versetzt hatte. Er starb und Josef und Maria kehrten mit Jesus zurück ins Gebiet Galiläa, nach Nazareth. Dort wuchs er auf und begann, zu den Menschen zu reden: Glückselig sind die Armen im Geist, denn ihnen ist das Reich der Himmel offen! Glückselig sind die Trauernden, denn sie sollen getröstet werden ... (Mt 5,1ff.)

 


Guter Gott, du König des Universums, lass die Könige und Regenten dieser Erde lernen, was es verdient, "königlich" genannt zu werden, schenke ihnen Weisheit und Einsicht für das, was sie tun und für jene, die ihnen anvertraut sind. 

Rufe zu dir alle Völker, auf dass sie lernen, was das heißt: das Reich Gottes ist unter uns! Zu erkennen, dass wir alle von Dir geschaffen sind, alle einander verwandt, und dass wir alle füreinander Sorge tragen sollen in diesem Leben.

Tröste die Trauernden, die Mütter, die ihre Kinder beweinen, die ihnen genommen wurden, dieses unfassbar tiefe Band, das zerrissen wurde, die Väter, die nach ihren geliebten Söhnen und Töchtern schreien, die Kinder, die ihre Eltern suchen und nicht finden, die Geschwister, die getrennt wurden, die Menschen, die nach einander rufen, als würden sie fragen: Ist dort irgendwo ein Mensch? Ist dort irgendwo ein Mensch in dieser Welt? 

Amen

 


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