Beim Namen gerufen



In der Tageslosung heißt es: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! (Jes 43,1) Und der Lehrtext dazu zeigt uns einen Mann, der auf eben diese Weise "beim Namen gerufen" wird; da heißt es im Lukasevangelium: Jesus sah auf und sprach zu ihm: Zachäus, steige schnell herunter vom Baum; denn ich muss heute in deinem Hause einkehren. (Lk 19,5)

Zachäus, so berichtet Lukas, war ein Zolleinnehmer aus der Stadt Jericho, Oberzöllner sogar. Er wollte Jesus sehen, als er mit seinen Jüngern durch Jericho zog, wollte diesen Mann sehen, von dem überall gesprochen wurde und um den sich mittlerweile, wo immer er hinkam, die Menschenmengen scharten; der den Menschen von Gott erzählte, wie man es noch nie gehört hatte, der die seelisch und körperlich Kranken gesund machte und lauter Wunder tat. Da er recht klein war und wegen der ganzen Leute Jesus nicht sehen konnte, stieg er auf einen Maulbeerbaum, um einen Blick zu erhaschen; die Geschichte ist ein bekanntes Bild für einen Menschen, den das Interesse an diesem wundersamen Jesus - einmal im Herzen erwacht - nicht mehr loslässt: er will ihn sehen, und wenn ihm die Sicht versperrt ist, dann sucht er sich Wege, um ihn zu sehen. Und mag es auch anfänglich nur das "Event" sein, die Sensation, mal was Neues im Alltagstrott, das ihn hergelockt hat: Wer auch immer, warum auch immer, komme her zu ihm! Mit Interesse fängt es ja an. Und bald wird sich alles ändern. 

Dort spricht Jesus diese Worte aus dem Lehrtext. Er blickt hinauf in den Baum zu Zachäus und ruft ihn beim Namen und sagt: "Komm schnell herunter! Heute werde ich bei dir zu Gast sein." Das ist etwas, was Jesus wie kein anderer konnte und was ich noch mehr von ihm lernen möchte: Er vergisst alles um sich her, all die Menschen mit ihren Anliegen, sowohl den begründeten wie den unbegründeten, und sieht nur diesen einen Menschen dort. Ihr seid jetzt nicht dran, scheint er still zu sagen, er dort, er ist jetzt dran! 

Das macht er oft. Und man kann Jesus wahrlich nicht vorwerfen, dass er nicht für alle Menschen da gewesen wäre. Er war für alle Menschen da! Aber wenn sie oder er jetzt dran ist, dann ist sie oder er jetzt dran, und alle anderen sind (jetzt) unwesentlich. Das ist eine Kunst. Das ist fortgeschrittene "jesuanische Schule" sozusagen, das muss man lernen bei ihm. In den Massen, wenn viele zugegen sind und etwas von einem wollen, ist das schwer, den Menschen zu sehen, der jetzt dran ist und ganz bei ihm zu bleiben. Es sind ja auch lauter andere Leute da, mit berechtigten Anliegen; und sei es nur netter Smalltalk, das ist ja auch mal ganz schön. Sehen wir dann den, der jetzt dran ist? Eigentlich reicht da unser Sinn gar nicht für aus. Darin schult uns Gottes Geist, lenkt unseren Blick und flüstert uns zu: Jetzt soll alles schweigen um dich her! Dort ist der Mensch, der dich braucht!

Hier, in der Erzählung von Lukas, war es Zachäus. Er war jetzt dran und ihn rief er bei seinem Namen. Ein Zolleinnehmer für die römische Besatzungsmacht, ein unter den Juden verachteter Berufsstand, ein Volksverräter. Ich muss, sagt Jesus, ich muss bei dir heute einkehren! Die Leute werden murren, sie werden sagen: "Mit wem gibt er sich da ab!", aber ich muss heute in dein Haus einkehren und Gast bei dir werden. Ich kann nicht durch diese Stadt ziehen und dich zurücklassen! Und Zachäus lässt ihn in sein Haus kommen und ändert sein Leben: Die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen, und wo ich jemanden betrogen habe, dort gebe ich ihm vierfältig zurück! (Lk 19,8)

Was mit Interesse begann, mit dem Wunsch, einen Blick zu erhaschen (aus welchen Motiven auch immer), das wendete sein ganzes Leben. Es wendete all seine Beziehungsverhältnisse und Korrespondenzen mit anderen: man darf sich sicher sein, dass seine Mitmenschen erstmal noch skeptisch blieben, und den Römern gefiel diese Neubesinnung keineswegs. Das war kein leichter Weg, der dort begann. Aber alles änderte sich, weil Jesus, wie letztlich nur er es kann, alles um sich vergaß und nur diesen einen Menschen sah. 

Das tut er bis heute. Wer auch immer, warum auch immer, komme her zu ihm! Und bald wird sich alles ändern. Amen 



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