Es ist niemals zu spät


Ich war mit den Sternsingern unterwegs. Unsere Gruppe - drei Kinder als "heilige drei Könige", zwei junge Frauen und ich - ging in den uns zugewiesenen Straßen von Haus zu Haus, sang, sammelte Spenden für einen guten Zweck und versah die Haustüren mit dem Segen der Sternsinger: 20*C+M+B+24

"C+M+B", was wir gemeinhin als "Caspar, Melchior und Balthasar" kennen, die Namen der drei Könige, bedeutet eigentlich: Christus mansionem benedicat - "Christus segne dieses Haus". Die allermeisten Menschen öffneten uns und freuten sich sehr über die singenden Kinder und den Segen für ihr Zuhause, manche waren nicht daheim oder machten nicht auf, ganz wenige schlossen wortlos die Tür; in Geschäften und Restaurants applaudierte man und viele riefen uns zu sich, damit wir ihnen den Segen für Zuhause mitgaben, manche kamen uns auf der Straße mit Geld und Süßigkeiten hinterher, weil sie nicht dagewesen waren, als wir bei ihnen geklingelt hatten. Da holten wir den Segen sozusagen nach. 

Kann es dafür eigentlich jemals "zu spät" sein? Ein Mann machte mich sehr nachdenklich an diesem - doch sehr schönen - Tag. Wir klingelten bei ihm, er öffnete, hörte sich die Kinder mit stillem Lächeln an, lobte sie herzlich und holte dann schnell etwas Geld für die Spendendose. Als die Kinder ihn fragten, ob er den Segen für sein Haus haben möchte, erwiderte er mit ruhiger Stimme: "Ich glaube, dafür ist es bei mir zu spät. Aber vielen Dank. Einen schönen Tag euch noch." Wir verabschiedeten uns und machten uns weiter auf den Weg. 

Kann es für den Segen eigentlich jemals "zu spät" sein? Vielleicht war es auch eher amüsant gemeint, vielleicht wollte er - so nett er das Ganze auch fand - die Sache jetzt einfach schnell beendet haben und sich wieder seinem Tun widmen, vielleicht wollte er einfach keine Aufkleber an der Tür oder an der Hauswand, vielleicht war es aber auch sehr ernst gemeint. Wer weiß das schon? Zumindest klang es so. Ruhig geäußert, wie eine feste, bittere Einsicht über das Leben: Dafür ist es bei mir zu spät. 

Wir wissen ja sehr oft so wenig voneinander. Es kommt nicht so häufig vor - auch in der Kirche nicht - dass jemand kommt und sagt: "Ich möchte mit Ihnen sprechen! Ich glaube, für mein Leben, für mich kann es keinen Segen mehr geben. Es ist zu spät." Das passiert so nicht. Es passiert bei Gelegenheiten wie diesen, beim Angebot von Segen, bei Wortwechseln, von denen man weiß, dass sie kurz bleiben, dass man sich nicht erklären braucht, oder halt in längeren Gesprächen, in der Seelsorge, wenn man Zutrauen gefasst hat ... Ansonsten wissen wir ja oft so wenig voneinander. 

Angenommen, es war nicht nur ein lockerer Spruch, sondern ernst gemeint (und ich nehme Aussagen von Menschen zunächst einmal ernst): wer weiß schon, was ihn bewegt? Was bewegt ein Menschenherz zu dieser ruhig vorgebrachten Feststellung: Für Segen ist es bei mir zu spät. Und sei er auch nur von Menschen geschenkt (wenn man an Gott nicht glauben kann), aber für den Segen ist es zu spät. Was mag man erlebt, was mag man getan, was versäumt, was verloren oder vielleicht nie gehabt haben?, diese tiefen Fragen eines gelebten Lebens. 

Und alles in mir möchte antworten: Es ist niemals zu spät! Es ist niemals zu spät für den Segen! Keine Jahre, keine Monate, keine Wochen und kein Tag, keine Stunde, keine Minute, kein Atemzug ist zu spät. Der Mann, der neben Jesus am Kreuz starb, sprach zu ihm: Herr Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein! (Lk 23,42-43)

Zu drastisch und dramatisch für ein einfaches Menschenleben, diese Bibelszene? Nein, sie ist nicht zu drastisch. Nur diese drastischen Stellen können wirklich das ganze Menschenschicksal fassen, können wirklich bis zum Äußersten gehen, können wirklich das Tiefste berühren und versichern: Es ist niemals zu spät! Und wenn du auch nichts mehr tun kannst - buchstäblich, wie der Schächer am Kreuz oder der Sterbende auf dem Bett, oder im tieferen Sinne, weil Wiedergutmachung, Rückkehr, Ersatz, Versöhnung oder Erweckung eines Verlorenen nicht möglich sind - es ist niemals zu spät. 

Es ist niemals zu spät für den Segen Gottes. Es ist niemals zu spät, Zutrauen zu ihm zu fassen und ihm dieses Menschenschicksal, all diese tiefen Fragen eines gelebten Lebens zu geben. Es ist niemals zu spät umzukehren und nach ihm zu suchen, der uns dieses Leben gab. Er will sich, heißt es, von uns finden lassen. Wir sind nicht verdammt, irgendwo zu enden und verloren zu gehen. Und was wir verloren glauben, die wir vergänglich sind und verfehlen im Leben, das bewahrt Er sicher, denn er ist das Leben. Was uns unverzeihlich ist, dort lehrt er uns, was Vergebung bedeutet und was sie vermag. Was uns vielleicht nie vergönnt war in diesem Leben und was wir entbehren mussten, das lässt er uns wahrhaftig finden. Was zu spät schien, das ist umgeben von seiner Gegenwart. 

Heute, mein Herr, segne dieses Haus und sei bei ihm alle Tage, wie auch bei jedem anderen, der meint, es sei zu spät. Amen



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