Der Eifer für Gottes Haus - Jesus und die Tempelreinigung



Entfremdet bin ich meinen Brüdern und ein Fremder geworden den Söhnen meiner Mutter. Denn der Eifer um dein Haus hat mich verzehrt, und die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen. (Ps 69,9-10)


Jerusalem um das Jahr 30. Jesus im Bericht des Johannesevangeliums, Kapitel 2, die Verse 13 bis 25: "Tempelreinigung" wird das später von den biblischen Redakteuren genannt. Der Evangelist Johannes stellt hier zum ersten (und in dieser Art auch einzigen) Male einen Jesus dar, der nicht in das Bild des sanften und liebevollen Hirten passt, das so viele als erstes mit ihm in Verbindung bringen. Er berichtet von einem Mann, der völlig aus den Fugen gerät und nicht mehr an sich halten kann, der, wie es der Psalm oben beschreibt, seinen Brüdern ein Fremder wird, sie sogar "Söhne meiner Mutter" nennt, als ob es eine andere Familie sei, von der er redet; ein Mann, der von dem Eifer um Gottes Haus ganz verzehrt wird und der schlicht und nüchtern erkennt: "Die Schmähungen der Leute, die dich geschmäht haben, gelten nun mir, sie sind auf mich gefallen."

Es ist die Zeit des Pessach, das Fest der Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten. Wie es Sitte ist, geht Jesus zu dieser Zeit nach Jerusalem, wo sich der Tempel befindet und wo alles Volk dieses Gedenken feiert. Um und vor dem Tempel verkauften Händler Tiere an die jüdischen Pilger für deren Schlachtopfer. Hier, so berichtet Johannes, ergriff Jesus der Zorn, er warf die Tische der Wechsler um, nahm Stricke als Peitsche und trieb die Leute weg, und schimpfte die Händler aus, sie sollten ihr Zeug wegschaffen und das Haus seines Vaters nicht zu einem Kaufhaus machen. 

"Ein Verrückter!", werden einige gedacht haben; "Was war das denn?", werden manche anschließend diskutiert haben; und jene, die ihn schon kannten, werden sich vielleicht fassungslos gefragt haben, was denn plötzlich mit ihm los gewesen sei. Es war vollkommen normal, dort und an anderen Stellen die Schlachttiere für die Reisenden zu verkaufen. Das wird auch heute oft als Argument gegen die Berichte von der "Tempelreinigung" vorgebracht: es war eine ganz normale Gepflogenheit unter den Juden, Jesus wusste das und kannte es nicht anders. Doch was "Gepflogenheit", was "normal" war, interessierte Jesus hier nicht, und was man kennt und was immer schon so gemacht wurde, bedeutet keineswegs, dass man es immerfort so belassen muss oder belassen kann. Man mag anfangs zur Kenntnis genommen haben, man mag es fernerhin kommentiert haben, man mag Kritik geäußert haben, man mag auf die Einsicht der Menschen gehofft haben, irgendwann bricht es durch und man kann nicht mehr an sich halten, wird vom Eifer verzehrt und nicht mehr die Besonnenheit leitet, sondern die Leidenschaft. 

Möge er doch heute kommen, zu uns, in diese Kirche, die den Mitgliederschwund beklagt, nicht, weil dann Menschen vielleicht Jesus und sein Evangelium nicht kennenlernen, sondern weil die Kohle nicht mehr stimmt, weil man an gesellschaftlichem Status verliert, weil man keine selbstverständliche Größe mehr ist, weil es unbequem wird ... weil man vielleicht wieder werden könnte wie in den Anfängen, als das alles begonnen hat, mit Hausgemeinden und nicht mit Kirchen, mit Brüdern und Schwestern und nicht mit Beamten, mit Teilen und nicht mit staatlichen Zuschüssen, mit Gemeinschaften und nicht mit Events ... Möge er heute kommen, wo man zu der Frage: "Was können wir als Kirche tun?" kaum seinen Namen hört, kaum etwas von Gebet, kaum etwas von Seelsorge, kaum seinen Auftrag "Verkündet das Evangelium allen Wesen ..." vernimmt, sondern unternehmerische Konzepte und Strategien versucht, sich in reaktionären Aktivismus erschöpft, sich mit einer Hingabe der Verwaltung widmet, die eigentlich Ihm und den Menschen gelten sollte, oder wo man schon längst spirituelle Angebote macht, die mit ihm eigentlich gar nichts mehr zutun haben.

Möge er heute kommen, wie ein Verrückter, wie ein von Eifer Verzehrter, er würde wieder ein Fremder werden, entfremdet von denen, die sagen, sie tun das alles für Gott. Seine Jünger aber erinnerten sich, dass geschrieben steht: "Der Eifer um dein Haus hat mich verzehrt"., heißt es in Vers 17. Daraufhin sprechen ihn die Juden an und fragen ihn (vollkommen verständlich), mit welchem Recht er das tue, was ihn auszeichne, dass er sich so verhalten dürfe. "Brecht das alles hier ab, den ganzen Tempel", erwidert Jesus ihnen, "und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten!" Er meinte mit dem "Tempel" seinen Leib, sich selbst, kommentiert Johannes, doch wie sollten die Leute das an dieser Stelle verstehen, da sie ja den Tempel aus Stein vor Augen hatten, und wie tief ist der doppelte Boden dieser Aussage mal wieder? Wie oft tat er das und machte aus dem Augenscheinlichen und Vordergründigen etwas Geistliches und Tiefes, das alle Beteiligten (und uns bis heute) herausfordert und stört?

"Brecht all das hier ab, den ganzen Tempel ..." Der Tempel in Jerusalem war damals die zentrale Kultstätte des jüdischen Volkes, die Verbindung zu JHWH, dem einen und einzig-wahren Gott. Gab es den Tempel, dann gab es Gottesdienst und Kult, dann war Gott mit ihnen; gab es keinen Tempel, wurde er zerstört oder von Fremdherrschern mit fremden Göttern besetzt, dann hatte Gott sie verlassen. In diese Auffassung, in dieses Empfinden spricht Jesus hinein: Brecht diesen Tempel ab! Was wirklich mit Gott verbindet, was Gott wirklich unter euch wohnen lässt, das werde ich in drei Tagen wieder aufrichten, denn ich bin es! Ich bin die Verbindung zu Gott! Ich bin der Tempel, ich bin aller Gottesdienst, ich bin die Erfüllung aller religiösen Handlungen, ich bin die Versöhnung mit Gott. - Der Hebräerbrief widmet sich diesem Thema und bezieht sämtliche religiöse und kultische Elemente auf den Sohn Gottes und die Vollendung in ihm. 

So berichtet das Johannesevangelium, dass dieser Mensch kommt und alles infrage stellt, den Tempel, das religiöse Herzstück eines ganzen Volkes, seines eigenen Volkes, und die Menschen verständlicherweise empört sind darüber. Zum Ende der Passage sind gar nicht mehr die Händler und Verkäufer das eigentliche Thema, sondern der Tempel ansich wird es. Auch ist Jesu Antwort auf die Frage, mit welchem Recht er sich so verhalte, eigentlich gar keine Antwort, sondern eben eine auslegungsbedürftige geistliche Provokation. Die Antwort auf die Frage nach dem Recht steht früher schon im Bericht des Johannes: Macht das Haus meines Vaters nicht zu einem Kaufhaus! (Joh 2,16) Ich habe das Recht, weil es mein Vater ist, der hier verehrt wird, weil es Sein Haus ist. Dieser Anspruch, mit Gott in solcher Weise verbunden zu sein, aus ihm zu kommen und über alles auf Erden erhaben, wird ständiger Affront, wird später sein Todesurteil werden. Mit ihm kam kein Revolutionär, kein Reformator - mit sowas kann die Institution umgehen und die Zeit tut das ihre, um solche Störungen in ihrem Fluss mit sich zu tragen. Doch die Behauptung, selbst die Erfüllung aller religiösen, spirituellen Suche zu sein und sie allen zu schenken, die sie begehren, die Behauptung, selbst die Befreiung aus der Sünde zu sein, das kann die religiöse Institution nicht ertragen, denn die Suche, der Kult und die Sünde sind ihr Geschäft. Das ist nicht abwertend zu sehen, sondern das ist die kulturelle Leistung von Religion in der Menschheitsgeschichte; und bis heute hat sich das nicht sonderlich geändert, lediglich verlagert auf andere Anbieter, Praktiken und Gegenstände. Und dennoch tritt dieser Mensch in die Geschichte ein, der Gott seinen Vater und sich selbst dessen Sohn nennt, der uns alle zu Söhnen und Töchtern Gottes macht, die wir es nicht wussten, und verändert das Nachsinnen darüber für immer.

Man hat immer wieder gesagt, Jesus sei das "Ende der Religion" und also das Christentum eigentlich keine solche. Das ist ein Ideal, die Historie zeichnet natürlich ein anderes Bild: das Christentum als eine Religion unter Religionen, ein Kult unter Kulten, ein Weg unter lauter Wegen, eine Auffassung unter lauter Auffassungen, eine ganz selbstverständliche und nüchterne religionswissenschaftliche Betrachtungsweise. Um den, der sich selbst den "Tempel Gottes" nannte, hat man wieder Mauern hochgezogen und einen Kult eingerichtet, und vermutlich ist das einfach der Lauf der Dinge. Möge er wieder zu uns kommen mit seinem Geiste, mit dem Feuereifer, mit dieser Leidenschaft, die manchmal die Besonnenheit überragen muss, die Händler und Verkäufer vertreiben, wieder aufrütteln und provozieren und sagen: "Brecht das alles ab, das Ganze! Was wirklich mit Gott verbindet, was Gott wirklich unter euch wohnen lässt, das kann nur ich wieder aufrichten, denn ich bin es! Ich bin die Verbindung zu Gott! Ich bin der Tempel, ich bin aller Gottesdienst, ich bin die Erfüllung aller religiösen Handlungen, ich bin die Versöhnung mit Gott, ich bin alles." 

 

... und die seinen Namen lieben, werden darin wohnen. (Ps 69,37b)



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