Karfreitag


Der Tag seines Leidens und Todes. Er hat sich also dem Willen seines Vaters ergeben und sich auf den Weg gemacht, den er gehen muss. In der Nacht im Garten Gethsemane kamen römische Soldaten und Knechte der Priester, von dem Verräter Judas geleitet, und verhafteten ihn. Simon Petrus, sein Jünger, wehrte sich zunächst, wollte seinen Meister verteidigen und schlug einem der Soldaten mit dem Schwert ein Ohr ab. Jesus rief ihn zur Ruhe und heilte den Soldaten. Denn wer die Botschaft Gottes mit Gewalt durchbringen will, den hört man nicht mehr, er hat dem anderen das Ohr genommen; wer sie aber mit Ruhe und Sanftmut den Menschen bringt, der findet Gehör, der heilt vielleicht sogar das Hören und Verstehen eines Menschen. Da dient Jemand der Obrigkeit dieser Welt, der Staatsmacht, der Ordnung und Ruhe, da dient Jemand der religiösen Elite, der Priesterschaft, dem Kultus, da blickt Jemand auf den Menschensohn, einen einsamen, einen einfachen, einen mittellosen, einen schwachen, und fragt sich: Ist er das? Es ist ja bloß ein Mensch, in Leinen gekleidet und ohne große Erscheinung! Aber wenn er spricht, wenn Worte von ihm ausgehen, wenn sein Blick den meinen trifft ... da fällt die ganze Gewalt, der ich diene, in den Staub, da wird mein ganzes Dasein, das ich so sicher eingerichtet glaubte, beunruhigt, und was ich zu sein meinte weicht dem, was ich wirklich bin ... bloß ein Mensch, ein einsamer, ein einfacher, ein mittelloser und schwacher. Und in ihm dort, unter dieser zerschundenen Haut und unter diesen Stricken, die sie ihm anlegen, leuchtet das Leben; nicht dieses verlorene Dasein, das ich als mein Eigen zu besitzen glaube, sondern das Leben aus dem ewigen Geist, der mein Wesen überhaupt erst in diese Welt gegeben hat. Da sehe ich und muss eingestehen, dass ich gegeben wurde, dass mir alles gegeben wurde und ich nichts besitze. Und all meine Macht ist nur ein Hauch, alle Reiche dieser Welt, seien sie mit dem Willen zur Macht oder in bester Absicht eingerichtet, sind nur Staub der Erde, wie der Mensch mit all seinen Gedanken. 

Da wird der Verwundete, der ihn so sieht, geheilt, da bekommt er sein Ohr wieder und hört, denn diese Lehre ist keine Theorie, sondern Wahrheit. Und diese Wahrheit, die ihn so schonungslos offenbar macht, ist heilsam für ihn. Alldas ist in der Erinnerung an den Karfreitag beisammen: die Offenbarung des Menschen mit seinem Schicksal, die Offenbarung Gottes mit seiner Hingabe, die Heilung dessen, der es erkennt und von Herzen annimmt.

Jesus wird abgeführt, muss diesen Weg gehen, seine Jünger flüchten, lassen ihn allein, schauen nur aus der Entfernung zu. Mit einem Kuss, mit dem Zeichen der Zuneigung hat Judas ihn verraten. Die mutigen und treuen Männer flüchten an den Rand der Geschichte, auf seinem weiteren Leidensweg sind nur Frauen an seiner Seite. Die Männer können den Kampf ertragen, die Verwundung und die Wunden, die sie selbst zufügen, aber den Weg, den Schmerz, ertragen die Frauen; wie wahr das ist, wie ehrlich die Evangelisten dies berichten.

Für eine der Frauen wird jetzt auf diesem Wege wahr, was ihr ein frommer Mann vor vielen Jahren gesagt hat: Durch deine Seele wird ein Schwert gehen! Es ist Maria, seine Mutter. Die Tiefe dieser Beziehung, zwischen Jesus und seiner Mutter, ist nicht auszuloten, die Beziehung einer Mutter zu ihrem Kind ist ja niemals ganz auszuloten. Sie hat ihn in sich getragen, hat ihn geboren, hat ihn in ihrem Arm gehalten, ihn gestillt, ihn gepflegt, getröstet, hat ihn aufgezogen, war immerzu mit ihm auf dem Weg, hat ihn gesehen und gehört, ihren Sohn; und dennoch war er nie richtig ihr Sohn, nie so ganz, nie so ganz nach menschlicher Weise. Immer war er ein stückweit entfernt, immer erhaben über sie, wie es sich für einen Sohn der Mutter gegenüber nicht gehört, immer war er seinem wahren Vater, dem Gott des Himmels und der Erde, näher als ihr, der Menschentochter. Immer musste sie sich zurücknehmen, immer musste sie sich herabsetzen lassen, immer sich daran erinnern lassen, dass er für etwas Anderes, für etwas Höheres in diese Welt gekommen ist. Ach, immer ist er Dein Sohn, mein Herr, und niemals ganz meiner!, mag sie manches Mal gedacht haben. 

Da geht sie nun mit ihm, so nahe sie kann, auf diesem Weg. Er wird verhört, von der religiösen Obrigkeit, von der römischen Staatsmacht, wird ausgefragt, verhöhnt, verspottet, bespuckt, geschlagen, ausgepeitscht, preisgegeben dem Hass der Menschen. Und sie mag die Einzige gewesen sein, die ihn anschaute und sagte: Ach, mein Kind, mein Kindlein! Ja, immer bist du Sein Sohn, aber du bist doch meiner! Und wenn ich dich auch sehe und höre, wie du von göttlichen Dingen zu den Menschen redest, wie du sagst, du seist für die Wahrheit in diese Welt geboren, wie du dem Gekreuzigten neben dir sagst, er werde noch heute mit dir im Paradies sein, wie du in dieser Verlassenheit "Mein Vater!" rufst und nicht "Mama!", wenn du rufst, es sei vollbracht und deinen Geist in Gottes Hände gibst ... wenn ich auch alldas sehe und höre, du bist doch ganz mein Sohn! Und durch meine Seele geht ein Schwert. 


Dort, spätestens am Kreuz, sieht Jesus sie, wenn er sie vorher nicht erblickt hatte, seine Mutter, mit der er auf so geheimnisvolle Weise verbunden ist. Und er weiß alldas, er fühlt alldas, was sie bewegt und schmerzt. Denn dort am Kreuz wird alles wahr, was er gesagt hat und was er ist: der Sohn Gottes, der in diese Welt geboren wurde, um für die Wahrheit Zeugnis zu geben. Und wenn er die Wahrheit kennt und die Menschen sieht, dann kennt er auch sie und sieht sie. Wenn er alldas Ungemach des Menschenwesens auf sich nimmt, all die Gottverlassenheit und Fremde, all die Finsternis und Bosheit der Welt, all den Hass und die Ablehnung, all das Leid und die Entbehrung des menschlichen Daseins, wenn er alldas auf sich nimmt, dann nimmt er auch ihren Kummer auf, den Schmerz einer Mutter über ihr Kind. Da schaut er sie an, sieht ein gemeinsames Leben, sieht einen gegangenen Weg, sieht Liebe und Sorge, fühlt Hände, die ihn gehalten und gestreichelt haben, hört eine Stimme, die zu ihm gesprochen und ihm vorgesungen hat, sieht die Schönheit der Liebe einer Mutter für ihr Kind. Und alles das ist in seinem Herzen, wie das ganze Menschendasein in seinem Herzen ist. 

Und wie zum Zeichen des Abschieds, als sagte er ihr, dass nun sein Menschenleben in dieser Welt beendet sei, weist er sie auf den Jünger Johannes, der mit ihr am Kreuz steht, und sagt: Siehe, Frau, dieser ist dein Sohn!, und sagt zu ihm: Siehe, diese ist deine Mutter! Und er wird sie nie vergessen. 



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