Die Reue Gottes

 Liebe Gemeinde, 

für diese Andacht hier erlaube ich mir, ein wenig aufzugreifen aus dem Vortrag eines Theologen, den ich mir angeschaut habe*. Er behandelt dort das Buch Amos, eines Propheten aus dem Alten Testament. In einer Vision, die Amos hat, kündigt Gott dem Volk Israel Strafe für ihr unbarmherziges Verhalten gegenüber den Schwachen und Armen in ihrer Gesellschaft an (Amos 7,1-3): Heuschrecken werden kommen und die Felder kahlfressen - eine Plage, die bis heute in diesen Ländern für die Bauern und die Bevölkerung eine absolute Katastrophe darstellt. Amos aber, der Prophet, dem Gott dies zeigt, fleht um Gnade für sein Volk und ruft: Wer soll Israel wieder aufhelfen, wenn es so zugrunde gerichtet wird? Es ist doch so schwach, dieses Volk! Und da, heißt es, reute es Gott und er sprach zu Amos: Gut, es soll nicht geschehen! - Diese Androhung von Strafe, die Bitte Amos und die Reue Gottes wiederholen sich noch zwei Male in weiteren Visionen.

Von dieser Reue Gottes möchte ich hier schreiben und darüber mit Ihnen nachsinnen. Die Reue Gottes ist ein sehr interessantes Thema in der Bibel. Sie kommt einige Male vor, nicht übermäßig oft, aber sie kommt vor: Gott bereut ... seinen Entschluss, seine Worte, seine Drohung ... Das mag vielen sehr seltsam vorkommen, dass ein Gott etwas bereut, ein Wesen, von dem wir sagen und glauben, es sei allwissend, allmächtig und vollkommen klardenkend und Herr seiner selbst. Gemeinhin ist das kein Gedanke, der den Menschen zu Gott einfällt: Gott bereute es. 

Bereuen tun wir, weil wir verfehlt haben, weil unsere Entscheidungen, unsere Worte und Taten falsch waren oder auf schlechte Wege geführt und einen üblen Verlauf genommen haben. Bereuen tun wir, weil wir im Affekt zu zornig und erhitzt waren und dann, wenn wir abkühlen, sehen, dass wir nicht klar gedacht haben. Bereuen tun wir, wenn wir das, was wir uns vorgestellt und gewünscht haben, nicht bekommen, und uns denken: Hätte ich es doch sein gelassen! - Alldas denkt man gemeinhin nicht von Gott, Reue ist etwas menschliches, Reue ist Sache eines fehlerhaften Wesens, nicht eines Gottes.

Gut, dann lade ich Sie dazu ein, dass wir unser Gottesbild infragestellen lassen, denn das tun die biblischen Schriften oft! Denn der Gott, von dem die Bibel erzählt, der bereut. Er wendet seinen Sinn, er ändert seinen Entschluss, er hält Taten zurück, die er sich vorgenommen hat. Und hier ist es vor allem interessant zu sehen, wodurch er das tut: bleiben wir am Beispiel aus Amos, er tut es aufgrund des Flehens eines Menschen. Amos bittet für sein Volk Israel um Gnade und Gott lässt sich davon rühren und lässt von seinem Vorhaben ab. Er lässt sich durch die Klage eines Menschen das Herz erweichen, der "unbewegte Beweger" - wie man in der Philosophie mal sagte - lässt sich bewegen.

Die Reue Gottes zeigt uns, dass er ein lebendiger Gott ist. Sie zeigt uns, dass er ein Wesen mit Denken, Fühlen, mit Gesinnung und Innenleben ist. Sie zeigt uns, dass es ein Beziehungsverhältnis zwischen ihm und uns Menschen gibt, eine Auseinandersetzung, Annäherung und Kennenlernen, Streit und Hader, Hingabe und Liebe, Wut und Abwendung, Faszination und Ehrfurcht, Enttäuschung und Unverständnis, Dunkelheit und Licht, Verborgenheit und Offenbarung. Alldas haben wir Menschen in uns und untereinander in unseren Beziehungsgeflechten auch mehr oder minder und Sie werden diese Begriffe für sich ganz unterschiedlich mit Leben füllen. 

Dieser Gott ist ein lebendiges Gegenüber. Er kennt es, dass ihn etwas gereut, dass ihn etwas rührt, dass sein Herz bewegt, sein Entschluss gewendet wird. Dieser Gott kennt Hingabe und Verlangen nach dem Gegenüber, weshalb die Liebesmetapher in den biblischen Schriften eines der Hauptmotive ist, das ständig wiederkehrt, also das Bild zweier sich Liebender für Gott und den Menschen und für Gott und die Gemeinde.

Er lässt sich also bewegen, er lässt sich rühren, lässt sich besänftigen, lässt "mit sich reden", wie man so sagt. Reden wir mit ihm? Amos flehte zu Gott für sein Volk. Tun wir das auch, vielleicht gerade in Zeiten wie diesen? Oder ist alles gut, wenn der Mensch sich selber helfe und man kann sein Vertrauen voll und ganz auf den Menschen setzen? Ich wage das sehr zu bezweifeln. Für seine Mitmenschen, für sein Land, für seine Regierung zu beten ist etwas deutlich anderes als einfach nur für sich selbst zu sagen, dieser oder jener Fehler tut mir leid oder jemandem einen schönen Urlaub zu wünschen.

Die Mitmenschen, die Gesellschaft und die Regierung werden zwar kommentiert, daran mangelt es wahrlich nicht, aber wer betet für sie oder fleht sogar um Hilfe und Besserung? Sind wir dafür zu stolz? Ich spreche von mir selbst! Beten ja, aber Flehen, das steht mir nicht. Wie oft denke ich so. Wenn Regierende oder andere zu stolz sind, kann ich darüber schimpfen; ich kann darüber wettern, was alles falsch und mies läuft, ich kann auf Wissenschaft und Medizin setzen als seien sie Heiligtümer, das steht mir an, aber für meine Mitmenschen zu flehen, für jene, die das Land regieren, in dem ich lebe, das steht mir nicht?

Wenn das Gottesbild infragegestellt wird, wie ich oben ansprach, dann werden auch wir infragegestellt, man kann das gar nicht trennen. Wir werden nämlich gefragt, was und wie wir denken, wie wir fühlen und wie wir handeln. Und das ist etwas Schönes, denn man lernt viel dabei, bricht mit eingefahrenen Gewohnheiten und Denkmustern und überwindet seinen Stolz. Gott zeigt es uns, denn er war und ist auch nicht zu stolz, sich durch uns Menschen, die er liebt, bewegen und rühren zu lassen, es sich "gereuen zu lassen". Er ist nicht zu stolz, sich ansprechen zu lassen. Er ist kein Stein, wir dürfen ihm in den Ohren liegen, er hört, er sieht, er fühlt. Und ist dies nicht eine Ehrung, eine Auszeichnung an uns? Der allmächtige Gott, heilig und allwissend, nimmt uns ernst und lässt sich von uns Menschen bewegen. 

Gott der Herr ließ mich schauen, und siehe, da war einer, der machte Heuschrecken zur Zeit, als das Spätgetreide aufging; und siehe, das Spätgetreide war gewachsen, nachdem der König es hatte mähen lassen. Als nun die Heuschrecken alles Gras im Lande abfressen wollten, sprach ich: Ach Herr, mein Herr, sei gnädig! Wer soll Jakob wieder aufhelfen? Er ist ja so schwach. Da reute es den Herrn und er sprach: Wohlan, es soll nicht geschehen. (Amos 7,1-3)

Amen.

 

* WORTHAUS, Prof. Dr. Siegfried Zimmer: Die Visionen des Amos - ein Meilenstein in der Geschichte der Prophetie.

 https://www.youtube.com/watch?v=-MTzZdQgDas


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