Sommergewitter

Wolken zogen auf. Der Sommerhimmel und sein später Nachmittag wurden nach und nach von trägen Massen bedeckt, deren Rücken noch das Sonnenlicht erhellte, deren Bäuche aber schon schwarz waren; und der Wind ging, pustete durch die Bäume, dass Zweige, Blätter und Staub wie Kometenschweife von ihnen wehten, dann in kleinen Wirbeln tanzten und sich irgendwo verloren. Manches ging mit einem Prasseln nieder und wurde über den Asphalt geschliffen, aber man konnte mit Augen und Ohren nicht mehr ausmachen, ob es Blätter und Zweige waren oder schon der Regen. Denn das vermischte sich und wie alles andere, nahm er auch dies nicht zusammenhängend wahr, sondern eher wie einen Wechsel von Erscheinungen, der Wandel aus Licht und Schatten, Strahlen und Finsternis; weniger mit den Sinnen, als eher sinnlich.
 Er stand auf dem Balkon, ein Junge, und während sein Blick noch wie betäubt den tanzenden Blättern folgte, sammelten sich dicke dunkle Flecken auf der Straße und den Bürgersteigen wie Tintenkleckse, und machten aus dem Prasseln nun endlich doch Regen. Eine angenehme Gänsehaut trennte sein vom Sommer aufgeheiztes Inneres fein und säuberlich von der Außenwelt und bewirkte diesen seltenen Moment, wo man ganz in seinen Empfindungen zuhause ist und die Gedanken kurz schweigen.
 Nur kurz. Denn seltsam, dachte er dann, die Straße, die Bäume und Fassaden der Häuser, alles, was seinen Platz auf dem Erdboden hatte, war erleuchtet wie vom Sonnenschein, der Himmel aber war tiefschwarz, so schwarz, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte, glaubte er. Und ein erhabenes Gefühl stieg in ihm auf. Das Gefühl auf dem Gipfel eines Berges, an der Küste und unten nur das weite Meer, oder unter einem endlosen Sternenhimmel; oder bei einem Gewitter.
 Der Wind ging stärker, schaukelte ein verlassenes Vogelnest in der Krone eines Ahorns, und spielte auf den Dachziegeln und in den Regenrinnen gespenstische Geräusche. Irgendwo aus diesem schwarzen Gewölbe drang ein Grollen auf ihn zu, so schien es ihm, und der Himmel vor seinen Augen war ihm wie der Rachen eines riesigen Tieres, in dem weiße Zähne blitzten; noch weit entfernt, aber grell und scharf, gingen sie irgendwo nieder und schlugen in einen Körper ein, um ihn zu zermalmen. Lichter flackerten in der Schwärze, das Prasseln stieg zu einem Rauschen an und der Regen fiel in Strömen zur Erde. Die Böen wiegten die Wasser wie schwere Vorhänge hin und her, vor und zurück. Die Blitze waren schon näher gekommen und stießen krachend herunter, dass er zusammenfuhr, wie es ist, wenn man vor lauter Erwartung noch mehr erschrickt als wenn`s ohne Erwartung geschehen wäre. Kleine Wasserfälle flossen von dem Glasdach über ihm und begossen die Geranien seiner Mutter. Das Schauspiel des Himmels ging noch eine Weile und brachte alles in ein faszinierendes Chaos, ein Wirrwarr. Er liebte das.
 Da bist du also, dachte er. Er hatte in letzter Zeit viel über den Satan nachgedacht und beim Propheten Jesaja von dem schönen Morgenstern gelesen, dem gefallenen Engel, dem Unterdrücker aller Völker, der Gott gleich sein wollte und in die Abgründe geworfen wurde. Und er hatte am Mittag so still bei sich gedacht: Wenn es dich gibt, dann zeige es doch mal.
 Das muss nichts miteinander zutun haben, wird er später einmal verstehen; doch dort auf dem Balkon war er erstmal beeindruckt von dem Szenario. - Jahre vorher, als kleiner Junge, hatte er beim Spielen im Garten eines sonnigen Tages mal gedacht: Gott, wenn es dich gibt, dann lass es doch Morgen einmal regnen. Es hatte nicht geregnet, sondern die Sonne strahlte schön wie am Tage zuvor.
 Das muss nichts miteinander zutun haben, verstand er damals bereits; er lachte nur und freute sich über das schöne Wetter.

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