Die Welt

 Ein Mann sitzt, mit einem dicken schwarzen Mantel bekleidet und einer Melone auf dem Kopf, auf einer Bank und schaut vor sich auf den gepflasterten Boden hin, auf dem dicke Schneeflocken manchmal schweben, manchmal kleine kreiselnde Bewegungen machen, manchmal liegen bleiben. Es ist so eine alte englische Bank, irgendwo müsste ein hübscher Park sein, wenn man ihn denn sehen könnte, doch es ist neblig, und rechts neben ihm steht eine dieser alten Laternen aus Londoner Straßen. Links hinter ihm bäumt sich eine verschneite Tanne auf, die dort irgendwie nicht hingehört, wie eigentlich alles, denn man vermisst hinter der dichten Nebelwand den Rest dieses Bildes. Es ist still, kein Geräusch und kein Wind regt sich, und der Mann sitzt unbewegt, als sei das alles eine Momentaufnahme. Und wie es ist, wenn man Stille und Einsamkeit und lange Weile hat, denkt der Mann nach über sich und diesen Ort und seinen Platz. Und alles erscheint ihm trist und öde und ohne Sinn, fehl am Platze, und er meint, selbst nicht zu wissen, was ihn eigentlich hierher getrieben habe und warum er hier sitze oder wohin er denn wolle. Er schaut nur vor sich und die Welt, in diesem Nebel verschleiert, kommt ihm undurchsichtig und unwirklich vor, und einen Moment lang ergreift ihn tief im Innern Angst, die einen ergreift, wenn man wirklich alleine ist.
Vielleicht, denkt er, ist es so, dass alles vollkommen sinnlos ist. Vielleicht bin ich rein zufällig hier, hingesetzt auf einen Platz durch Instinkt oder irgendeinen Reiz der Sinne. Eine Zusammenballung von Kräften, die sich zufällig im Raum trafen. Voneinander angezogen, ja, aber hätten sie noch etwas anderes angezogen oder etwas fallenlassen, es wäre alles ganz anders gekommen; ein unvorhersehbares Spiel von Materie und Reaktionen. Und ich, der ich jetzt hier sitze und denke, bin nur das Ergebnis eines Selbsterhaltungstriebes, einer eingepflanzten Lust und einer passenden Gelegenheit. Ein unbewusster Wille zu Überleben steuert mich, da ich mich ohnehin nicht einfach hinlegen und tot sein kann. Und niemand wollte mich, sondern man wollte Jemanden und was herauskam, war eben ich und dann ist es halt so. Das ist es, was bleibt, wenn man die Ideale wegnimmt: die vollendeten Tatsachen. Denn ich lebe in einer Welt aus Ideen, als erstes über mich selbst und dann über andere, dann über das, was zwischen uns stattfindet und was es bedeutet. Und diese Ideen sind so übermächtig, so existenziell, dass man ohne sie das Leben nicht ertragen kann; man braucht sie nötiger als Essen und Trinken. Solange man mit anderen umgeht und zusammen ist, werden sie ständig genährt, doch ist man einmal lange Zeit alleine, wirklich alleine, so wie ich jetzt hier, und die Erinnerungen und Vorstellungen wurden schon tausende Male erinnert und vorgestellt und verblassen langsam wie der Boden in diesem Nebel hier, dann wird die Idee immer mehr auf das Selbst zurückgedrängt, gleicht sich der realen Kreatur an, und da ist - wenn man sich anschaut - nichts außer einer tiefen Leere, einer totalen Dunkelheit. Solange, ja, solange ich mit anderen bin, kann ich mir etwas vormachen und sie machen mir ja auch etwas vor, doch alleine, wenn`s nur lange genug ist, so wie ich jetzt hier bin, kann ich mir selbst nichts mehr vormachen. Ich bin ein gefallenes Wesen, in die Welt gefallen durch Neigung und Verdichtung, und lebe und webe dieses Geflecht aus Illusionen, um zu rechtfertigen, dass ich es bin. Ich bilde mir ein, eine Bedeutung zu haben, einen Wert und einen Sinn für jemanden, der mich wirklich liebt wie ich bin, ohne einfach nur die Gegebenheiten zu nehmen und es dann Liebe zu nennen. Doch das ist Illusion.
Nach diesen Gedanken ist es ihm, als kenne er niemanden, als sei er immer schon alleine gewesen, als sei alles (selbst die Gedanken) aus dem Nichts gekommen, erregt durch Anschauung und Begehren, und werde wieder ins Nichts vergehen. Und die Welt erscheint ihm riesig und kalt und er hat keinen Platz in ihr, weil er belanglos ist. Und je klarer ihm das wird, desto mehr kreisen seine Gedanken um ihn selbst, wie die Schneeflocken zu seinen Füßen, und er zweifelt an seiner Existenz.
Vielleicht, denkt er, bin ich ja auch nur eine Idee.
Dann bewegt sich plötzlich alles und bebt, die Schneeflocken wirbeln durcheinander und tanzen wild umher und alles wird ein weißes Wirrwarr. Er sieht es, doch ist weiter unbewegt und auf seinem Platz und er selbst.

Ich stehe im Laden und schüttel die Schneekugel, betrachte, wie die dicken Schneeflocken durch das Wasser schwirren und denke mir, was für seltsame Ideen die Menschen doch haben.

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