Erziehung und Selbsterziehung

Sei nur stille zu Gott, meine Seele; denn er ist meine Hoffnung. (Psalm 62,6)

Wir warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands, Jesus Christus. (Titus 2,13)

 

Wir warten. Wir warten wieder. Als Christinnen und Christen sind wir eigentlich immer "Adventgemeinde", nicht nur in der Adventszeit, die jetzt - zum Ende des weltlichen Jahres - das Kirchenjahr begonnen hat. Das soll nicht nur ein jährliches Fest sein, sondern eine tägliche Lebenshaltung, wie auch der Dichter Angelus Silesius schrieb: "Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, doch nicht in dir, du wärest ewiglich verloren!"

Es ist eine uralte, urchristliche Frage und Auseinandersetzung: Wie erreicht das, was wir da sprechen, bekennen, beten, singen und pflegen wirklich unser Herz und wird in uns lebendige Wahrheit? Jesus ließ da keinen Spielraum zu: In deinem Herzen fängt alles an. Wie wird aus einem jährlichen Fest, das wir vorbereiten, schmücken und pflegen (all das ist ja schön), etwas, das wir tagtäglich einüben und tiefer verstehen lernen - im Lauf dieser Welt, in unseren Begegnungen, in unseren eigenen Gedanken und Herzensregungen?

Paulus schreibt in dem Brief an Titus: Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und erzieht uns, dass wir dem gottlosen Wesen und den weltlichen Begierden absagen und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben. Und wir warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands, Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken. 

Die Gnade Gottes ist allen Menschen erschienen. Ein schöner Titel für ein großes Fest. Soll das aber vom Kopf ins Herz gelangen, dann muss man Paulus weiterlesen: Diese Gnade Gottes erzieht uns. Und Er-ziehung braucht Be-ziehung. Diese Worte klingen im Deutschen passenderweise sehr ähnlich. Ohne Beziehung kann es keine gute und gesunde Erziehung geben: das Kind, der Schüler, die Schülerin hören Worte, die leblos und leer bleiben. Nur in der Beziehung zu Gott kann das, was wir an Weihnachten oder irgend sonst im Kirchenjahr feiern, lebendig werden, kann echte innere Vorbereitung und Schmuck werden in unseren Gedanken und Herzensregungen, in unseren Begegnungen mit anderen, im Lauf dieser Welt. Nur in der Beziehung zu Gott kann man sich überhaupt erziehen lassen wollen von ihm und kann durch Scheitern und Erfolge lernen.

Zu einer Beziehung gehören bekanntlich immer zwei. Und zur Erziehung auch. Wenn wir schauen, was Gott dafür getan hat, so gibt Paulus die Antwort: Er sandte seinen Sohn Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste ... Gott hat alles gegeben für diese Beziehung.  

Und wir Menschen? Was können wir tun? Das sagt uns David in seinem Psalm: Sei nur stille zu Gott, meine Seele; denn er ist meine Hoffnung. David zeigt uns hier die "Selbsterziehung", die wir in der Beziehung und Erziehung Gottes auch pflegen sollen: er spricht zu sich selbst, zur eigenen Seele. Er hat gelernt, sich das selbst zu sagen, was Gott ihm sagen will. In schweren Zeiten, in denen wir ihn nicht zu hören meinen und es uns keineswegs "adventlich" zumute ist, ist das sehr wichtig, ja manchmal der einzige Anker.

Wenn in der Erziehung nicht irgendwann auch diese Selbsterziehung einfließen würde, dann wäre etwas sehr schiefgelaufen. Wir sind eben nicht nur Gefäße, die von Gott mit Heil und Segen gefüllt und bedient werden. Dann wären das Worte, die wir, seine Schülerinnen und Schüler, seine Kinder, hören, und die leblos und leer blieben. Damit seine Worte nicht leer zu ihm zurückkehren, müssen sie auf Herzen treffen, die sie aufnehmen, in sich bewegen und festhalten wollen.

David hielt Gottes Worte fest und ermahnte sich selbst zu Geduld, Zuversicht und Warten: denn er ist meine Hoffnung. Er ermahnte sich zu dieser "Adventshaltung", die wir uns auch immer wieder ins Bewusstsein rufen sollen, obwohl er von Weihnachten und all diesen Dingen ja noch gar nichts wusste. Ich brauche nicht im Detail auszuführen, wie wichtig diese Haltung angesichts dieser Welt ist, und wie schwer manchmal. 

Wir sind nicht weit von David entfernt: er wartete damals, wir warten wieder, heute, dass Gott, unsere Hoffnung, kommen möge, immer wieder neu - in dieser Welt und in unseren Herzen. Lassen wir uns von David heute daran erinnern, was wir uns selbst sagen können, und von Paulus, worauf und auf wen wir warten: Auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands, Jesus Christus.

Amen.  

 

 

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