Von der Gnade und ungnädigen Zeiten
Der (inzwischen) ehemalige US-Präsident Joe Biden begnadigte kurz vor der Amtseinführung seines Nachfolgers Donald Trump einige Kritiker und politische Gegner Trumps vorsorglich, damit diese keine Vergeltungsmaßnahmen des neuen Präsidenten fürchten müssen. Denn es war angekündigt und zu befürchten:
"Trump hatte gedroht, in seiner zweiten Amtszeit gegen jene vorzugehen, die ihn politisch angegriffen oder versucht hätten, ihn für seine Rolle bei der Erstürmung des US-Kapitols am 6. Januar 2021 zur Rechenschaft zu ziehen." [Zitat: ZDFheute]
Nun kündigt Donald Trump zwar vieles an, auch Dinge, die gar nicht durchführbar sind (z.B. die Ausweisung sämtlicher illegaler Einwanderer als erste Amtshandlung: logistisch nicht machbar, und zudem würde es die US-Wirtschaft in die Katastrophe stürzen);
doch hat er einfach zu sehr bewiesen, wie unberechenbar er ist und wie gut er geistige Brandstiftung versteht, um seine Drohungen nicht ernst zu nehmen. Jener Sturm auf das Kapitol, der seiner feurigen Rede gefolgt war, war eine Zäsur in der US-amerikanischen Geschichte: diese patriotischen Amerikaner stürmen ihr Kapitol, eines ihrer Wahrzeichen? Unfassbar.
Trump macht keinen Hehl daraus, dass er so weiterzumachen gedenkt, wie man ihn in seiner ersten Amtszeit kennengelernt hatte. Joe Biden griff nun zu einem letzten Mittel, das ihm seine Amtsgewalt als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ermöglichte: die Macht der Begnadigung von Menschen, um sie so vor der kommenden Macht zu schützen.
Ich kann nicht ermessen, wie effektiv das wirklich ist, wenn diese Kritiker Trumps dann in seiner Amtszeit wieder als Kritiker und Gegner auftreten und laut werden; aber trotzdem: die Kraft dieser Amtshandlung bleibt bestehen, selbst wenn das Leben der Begnadigten dadurch nicht angenehmer und leichter wird.
Was ist das eigentlich, die Begnadigung?
"Begnadigung ist der Erlass, die Umwandlung, die Ermäßigung oder die Aussetzung des Vollzugs einer rechtskräftig verhängten Strafe, Nebenstrafe, Disziplinarstrafe, Geldbuße usw." [Wikipedia]
Bei uns ins Deutschland hat der Bundespräsident das Recht auf Begnadigung inne, und in den USA eben der Präsident. Die Amtsgewalt zur Begnadigung ist eine juristische Sonderstellung, denn grundsätzlich ist im Recht vorgesehen, dass es durchgesetzt wird. Eine Straftat zieht eine Strafe und deren Vollstreckung nach sich. Die Justiz wägt zwar die Umstände und die Motive einer Person ab, aber im Grundsatz gilt: eine Straftat zieht eine Strafe nach sich.
Die Begnadigung ist diesem Grundsatz übergeordnet. Sie darf das Rechtskräftige aussetzen, sie darf es erlassen ... Und manchmal (wir wissen ja nicht, was noch kommen wird) ist sie vielleicht der letzte Widerspruch, der letzte Widerstand gegen ein Weltbild, in dem keine Gnade vorgesehen ist.
Nun sind wir Christinnen und Christen mit dem Begriff Gnade sehr vertraut. Er gehört zum Herzen und zum Pulsschlag unseres Glaubens; nicht in einem juristischen Sinne, sondern viel tiefer. Die Gnade war und ist für mich immer ein unerlässlicher Punkt bei der Betrachtung von Weltbildern, Philosophien und Idealen. Wenn sie nicht vorgesehen oder zumindest berücksichtigt ist, kann das Modell noch so gut durchdacht und sauber sein, es antwortet nicht wirklich auf die Realität des menschlichen Lebens, und auch nicht auf die Realität eines Volkes oder einer Welt. Es ahnt und begreift nicht, was der christliche Glaube zutiefst weiß: dass wir Gnade brauchen, um wirklich leben zu können.
Nun komme ich nach diesem kleinen Exkurs auf den Bibeltext zurück: Unser Kampf richtet sich nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen Mächte und Gewalten, gegen die Weltbeherrscher der Finsternis dieser Weltzeit, gegen die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Regionen. - Was heißt das denn, diese Worte, die so religiös aufgeladen klingen? Es geht hier nicht um Gespenster und Monster und Teufelskarikaturen. Sondern wir kämpfen, das müssen wir uns manchmal wieder klarmachen, gegen ein Denken, gegen eine Idee vom Menschen, gegen gnadenlose Weltbilder, in denen wir nur gehorsame und funktionierende Glieder in einer Kette sind; gegen Ideologien, in denen wir abgeschafft gehören, wenn wir uns nicht fügen.
Wir müssen uns manchmal wieder klarmachen, was wir beizutragen haben in einer Welt, die manchmal so sein kann. Auch wenn wir den Eindruck haben, dass uns kaum jemand hört, trotzdem!
In diese Welt, die so sein kann, auch nach dem Gnadenspruch, hat Gott hineingesprochen und sich selbst gegeben aus Liebe zu uns, und das möge uns eine Quelle der Kraft sein, Widerspruch und Widerstand gegen Weltbilder, in denen Gnade nicht vorgesehen ist, und gegen ein System, in dem Menschen anscheinend nicht rechtmäßig für das belangt werden, was sie gesagt und getan haben.
Guter Gott,
wir wissen, dass das, was da im fernen Amerika geschieht, nicht so fern ist. Auch hier bewegt es die Gemüter und reibt sie auf, macht Mitmenschen und sogar Freunde und Familien einander fremd und argwöhnisch oder sogar feind. Und auch in vielen anderen Ländern ist es so.
Und wenn Jemand aus unserer Gemeinde letztens darauf hinwies, wie wichtig es ist, sich zu Wort zu melden, Widerspruch einzulegen gegen menschenverachtende Ansichten und Aussagen, so hat er Recht damit. Und sei es nur, dass man es getan und nicht geschwiegen hat.
Wir sind oft so still. Dabei hast Du uns diese als "Waffen" gegeben: das Wort, den Glauben und die Gnade, aus der wir leben, um solchen schlimmen Weltbildern zu widersprechen.
Erinnere uns daran, was wir beizutragen und zu geben haben in dieser Welt und schenke uns Deine Kraft für all unser Tun und sei uns gnädig.
Segne die Menschen, die dafür ausgewählt wurden, ein Land zu regieren, gebe ihnen Weisheit für ihre Aufgaben und lass sie nicht vergessen, wer ihnen diesen Platz gegeben hat. Amen
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