Eure Stimmen



Ich entferne mich ein bisschen vom Gelände unserer Freizeitunterkunft und gehe den Weg am Feld entlang. Alles ist ruhig um mich her, der Himmel strahlend blau, die Sonne hat jeden Winkel hier ergriffen, alles gehört dem Licht. Manchmal geht der Wind, lässt die Grashalme und das Getreide umherwiegen wie Wellen auf dem Meer; Vögel segeln knapp darüber hinweg, um Insekten zu schnappen, fließen mit dem Wind über das wogende Feld, alles tanzt miteinander im Schimmer. 

Am Rand des Feldes stehen Blumen und wilde Gewächse, in denen Grillen zirpen, alles wächst hier scheinbar chaotisch und ohne Planung (wo Wind oder Tiere die Samen eben hingetragen haben), doch das Bild ist immer wunderschön, immer richtig, immer vollkommen; alles ist am richtigen Platz, da, wo es ist, nicht mit Absicht angelegt und gepflanzt wie das Feld oder die Bäume auf unserem Gelände, sondern einfach ins Leben gegeben, geboren und aufgewachsen. 

Je weiter ich gehe, desto ruhiger wird es. In der Ferne höre ich euer Rufen und Lachen beim Spikeball, Reste von Gesprächen, die ihr führt, Musik, die ihr euch angemacht habt, alldas begleitet mich auf dem kleinen Spaziergang, diese Lebendigkeit und Freude, die in euch und unter euch atmet. 

Der Wind nimmt eure Stimmen auf und trägt sie fort, ebenso wie meine Schritte auf dem Asphalt. Der Welt ist es egal, ob ihr da seid, egal, ob ich da bin ... Die Sorge um diese Welt, die Theo uns nahegebracht hat, ist nicht einfach nur für "die Welt", sondern sie ist für uns; die Natur kann auch ohne uns weitermachen, sie braucht uns nicht. 

Der Welt ist es egal, ob ihr da seid, egal, ob ich da bin ... es ist ihr egal, was uns heimsucht oder verfolgt, egal, welche Verfehlungen uns nachjagen, wie Paul in seiner Andacht deutlich gemacht hat.

Der Welt ist es egal, ob ihr da seid, egal, ob ich da bin ... "Das Leben ist dumm", hat Sarah in ihrer Andacht gesagt und erklärt, was das bedeutet.

Der Welt ist es egal, ob ihr da seid, egal, ob ich da bin ... die Selbstzweifel, Ängste und Sorgen, von denen Robin gesprochen hat, sie sind ihr egal.  

Der Welt, den Medien, dem Algorythmus, worüber wir gestern unter anderem in unserer Talkrunde gesprochen haben, ihnen ist es egal, ob ihr da seid, ob ich da bin ... Die Welt hat keine Augen, keine Ohren, keine Gefühle, keine Gedanken, kein Anliegen mit uns. Ob es euch gut geht, ob ihr euch wohlfühlt, euch freut, ob ihr glücklich seid, ob ihr Sorgen habt, Schmerzen oder Kummer, ob ihr jemanden vermisst oder euch nach etwas sehnt, es ist der Welt egal. 

Einem aber ist es nicht egal; auch das habt ihr inzwischen auf dieser Freizeit mehrmals gehört: Dem, der euch dieses Leben geschenkt hat, ist es nicht egal, ob ihr da seid; den Menschen, mit denen du hier bist, deiner Familie und deinen Liebsten ist es nicht egal, ob du da bist oder fehlst, ob du glücklich bist oder traurig, ob du dich wohlfühlst oder bedrückt ... 

Das Geheimnis des menschlichen Daseins ist Beziehung. Das Geheimnis von allem, was wir in den paar Tagen hier bereits erlebt, angesprochen und nachgedacht haben ist Beziehung. Das Geheimnis Gottes ist Beziehung. 

Sei es die Sorge und Verantwortung um und für die Welt, seien es Ecken, Kanten und Fehler, oder sogar Schuld und Verletzung, seien es die Dummheiten des Lebens, seien es Zweifel, Ängste und Sorgen, sei es die enorme Masse an Nachrichten, Schlagzeilen, Skandalen und Zeitfressern, die auf dich einstürmen: das Geheimnis in alledem, die Hilfe und Heilung in alledem ist die Beziehung, der göttliche Atem in alledem ist die Beziehung.

Wir sind zueinander hin geschaffen worden, sagen wir im christlichen Glauben; wir sind nicht alleine und nur für uns selbst da, sondern füreinander. Die Stärken der einen tragen die Schwächen der anderen mit, man hilft einander lernen und verstehen, begreift, dass alle anderen Freude und Trauer, Erfolg und Verlust, Sorge und Sehnsucht, Bedürfnisse und Wünsche haben wie man selbst auch, wunderschöne Eigenschaften und auch Abgründe, Fehler und Tiefen ... ach, was wäre die Welt dann für ein Ort! So einfache Gedanken eigentlich und doch so schwer manchmal ... so schwer und so erstrebenswert. 

Ich bin nur ein paar Schritte gegangen, gar nicht weit; das reicht schon aus, um solche Gedanken zu fassen, um in der Stille und im Licht diesen Schatz zu erkennen. 

Es ist Zeit, zurück zu gehen ... zurück zum Geheimnis, zurück zu euch. 

Gott segne euch. Amen




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