Tanzen

Aus dem Radio glitt Musik und goß sich über den wenigen Leuten aus, die in der schwülen Hitze im Tagesraum der Pflegestation saßen. Zwei spielten Mensch-ärgere-Dich-nicht, eine Dame las in der Zeitung, ein Herr döste vor der geöffneten Balkontür, eine Frau war bereits so eingesunken, dass ihre Stirn fast auf dem Tisch lag; sie wurde dann von einer Pflegerin in ihrem Rollstuhl ins Zimmer gebracht. 

Eine andere war jedoch sehr aktiv. Das war sie immer, sie rannte stets unruhig im Tagesraum und auf der Station herum, faltete Handtücher auf und wieder zusammen, schob Gläser hin- und her, stammelte vor sich hin, weil sie nicht mehr verständlich sprechen konnte, sprach andere Bewohnerinnen und Bewohner an, die dann überfordert waren, hängte sich an Pflegekräfte, suchte Halt, suchte Sicherheit, suchte Wegweisung, suchte Beschäftigung, suchte irgendjemanden, der dieses ganze Wirrwarr in ihr verstand, der diesen Ozean an wandelnden Gefühlen aufnehmen konnte, die keine Worte hatten, keine Begriffe, keine Beschreibungen, keine Erklärungen ...

Der Pfleger brachte ein Essenstablett in die kleine Küchenzeile im Tagesraum, wischte es mit einem Lappen sauber und legte es zu den anderen. Er atmete tief ein und aus, blies sich mit vorgeschobenem Unterkiefer Luft ins Gesicht, stellte sich mitten in den Raum und ließ seinen Blick über die Leute, die Tische, die Stühle und den Boden wandern. Die Frau kam auf ihn zu und tätschelte mit klagendem Blick seine Schulter.

 "Ja dadadada, dasdasdas, isis, dasdas ... ichich, habdasdasdasdas, isis, jaja sissis ..."

 Er nickte ihr ruhig zu. 

 "Ja ... ichich kann ja nichnich ... dasdas ... dais dais ..."

 Ihre Hand ruhte auf seiner Schulter. Er wandte sich zu ihr, umfasste mit der Rechten ihre Taille, nahm ihre Rechte in seine Linke und begann sich mit ihr zur Musik zu wiegen. Sie wurde still, bewegte sich mit ihm, sagte dann "Ach!" und legte ihre Stirn auf seine Schulter. Und so tanzten sie eine Weile und eine Weile lang war der Kummer vergessen und der Ozean bewegte sich gleichmäßig. 

 Und für eine Weile wurde die Form, in die das Leben, das Alter und die Krankheit sie gefügt hatten, durchbrochen.  




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