Geister

Irgendwann in dieser Welt - wann genau ist nicht so wichtig, aber es ist die neue Zeit - vermisst eine ältere, durch die Rente ihres verstorbenen Mannes solide aufgestellte Dame, ihren Dahingeschiedenen so sehr und bitterlich, dass sie bald ganz wirr und krank wird und sich Hilfe sucht. Doch nicht Hilfe, mit Verlust und Einsamkeit umzugehen, und in sich selbst wieder Sinn zu finden, selbst wenn einem das Geliebte genommen ist, und einen Lebensabend zu führen, den der Geliebte einem sicher gewünscht hätte. Sondern eine Hilfe, die einem das, was man nicht loslassen will, wiederholt und fesselt, die beide einander nochmal sehen, beide miteinander nochmal sprechen lässt und über das Versäumte hinwegtröstet. 

 Und in früheren Zeiten und mit schwächerem Einkommen hätte sich diese Trauernde irgendeinen Scharlatan gesucht, eine Hexe oder einen Geisterbeschwörer oder eine Seherin, hätte eine Séance besucht und sich Botschaften ihres Jenseitigen vorgaukeln lassen. Sie hätte bei stark geschminkten, solariumgebräunten Frauen vorgesprochen, die auch schon nicht mehr wie die klassischen Seherinnen mit der Glaskugel und Handleserinnen vom Jahrmarkt aussahen, sondern in ordentlichen Wohnungen ihre Termine empfingen, dekoriert mit Engelchen aus Olivenholz, der Tarotkarte des Tages, still qualmenden Räucherstäbchen in einer Natursteinschale, einem großen Poster des Zodiaks im Goldrahmen, und einer Statue des Buddha, der so tolerant ist, dass er sich für alles hernehmen lässt.

 Doch, wie gesagt, sind es nicht mehr die früheren Zeiten, sondern die neue, und da sind es nicht mehr die Esoteriker, die man aufsucht, um mit den Verflossenen in Kontakt zu kommen, sondern die Wissenschaft und die Kunst haben sich dessen angenommen, Informatiker und Grafikdesigner. Zumindest, wenn man es bezahlen kann, ansonsten muss man doch zu den Hexen gehen. Denn die neuen Möglichkeiten und Angebote aus der Künstlichen Intelligenz haben die Preise der Esoteriker und Geisterseher so gedrückt, dass diese inzwischen für jedermann erschwinglich sind und sich für nahezu alles hergeben, um sich noch irgendwie über Wasser zu halten. 

 Was die KI leisten kann (wenn man sie sich leisten kann) ist wesentlich ansprechender, ansehnlicher und weniger nebulös als das Werk des alten Mediums in der Séance. Alles, was unsere Dame braucht, sind Videos und Fotos, mindestens ein biometrisches, und etwas Geduld, dann werden die neuen Künstler und Medien ihr ihren Verblichenen erwecken und hinter dem Schleier hervorholen. Sie braucht nur den Stick einzustecken und den Flachbildschirm anzuschalten und ihr erscheint ihr Mann, so plastisch, so real, dass sie glaubt, ihn berühren zu können, ihn streicheln zu können, seine schroffe, tagealte Rasur, sein Muttermal am rechten Kieferknochen, seine stark geäderten großen Hände, sie glaubt, ihn küssen zu können und er werde sie gleich umfassen und wieder bei ihr sein. Doch alldas kann sie nicht, denn er ist nur Erscheinung. Und das wird sie frustrieren und verbittern immerzu, und sie wird ihn ausschalten und ihn bald wieder anschalten, um ihn wieder zu sehen und ihn wiederzusehen, und so wird es immerfort gehen.

 Für einen Aufpreis kann sie seine Deos und Düfte einschicken und kann ihn sogar riechen, wenn sie ihn anschaltet. Doch dafür muss ein zusätzliches Gerät angeschafft und angeschlossen werden, und das ist ihr dann doch einfach zu teuer; sie hat schon alles verschwendet für diesen Luxus. Außerdem ist es ihr ohnehin, als könne sie ihn riechen, wenn sie ihn im Raum erscheinen lässt.

So ist es, beziehungsweise so wird es sein, je nachdem, in welcher Zeit wir uns zu befinden meinen. Und es werden nicht nur ältere, betuchte Damen und Herren sein, die sich ihre Partner und Partnerinnen am Lebensabend nochmal wiederkehren lassen, sondern Mütter und Väter werden ihre verstorbenen Kinder erwecken, Freunde und Freundinnen wird man sich zurückholen, die der Tod zu früh fortgenommen hat. Man wird sich alldas sagen können, was man versäumt hat und wozu keine Gelegenheit mehr da war, und das System wird die Auferstandenen sprechen lassen, was man gerne von ihnen hören möchte. Die Stimme, das Lächeln, die Bewegungen, alldas wird echt sein und keine Täuschung ist zu erkennen und keine Seele ist darin. Und da das Bildnis spricht, was es soll, und erscheint, wenn es soll, und vergeht, wenn es soll, gehört einem das Geliebte endlich voll und ganz. Denn Liebe ist allzuoft nichts weiter unter den Menschen, alsdass man den anderen besitzt. 

 Und sie werden fernerhin verlernen, mit Verlust umzugehen, mit Trauer, mit Versäumnissen, mit Verfehlungen, mit Verwundungen, die jetzt keine Aussprache heilt, sondern die man dem anderen und sich selbst vergeben muss. Sie werden verlernen, dass sie selbst und auch der Verstorbene es wert sind, dass man sich frei lässt, sich verabschiedet, sich erinnert, weint und lächelt, dass dies echte Liebe ist. Und sie haben das Bildnis des Geliebten nicht im Herzen, sondern vor Augen, wenn sie es wollen, und haben keinen Gott, in dem alles Leben verborgen ist, sondern ihr Gott ist die große Maschine. Und sie werden sagen: "Wenn es doch hilft und tröstet, so soll`s doch gut sein!" Und was der Mensch sei, das wird sich verändern.

Und manchmal, wenn man meint, man habe den Verstorbenen, den Jenseitigen, ausgeschaltet, hängt nachts im Dunkeln noch das Bild nach im Raum, den man vom Schlafzimmer aus sehen kann. Und man meint Konturen zu sehen, Form und Gestalt, schließlich Antlitz und Blick, unbewegt, kalt, seelenlos und auf einem ruhend ... Und es ist nicht das Geliebte. Es ist der Teufel.  






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