Bette Dich

Ich hoffe, Du gehst bald und Du gehst leicht. Obwohl man Dich hier vermissen wird; nicht nur Deine Angehörigen. Denn Du, was soll man groß sagen, Du bist ein guter Mensch und hast ein liebevolles, einfaches und ehrliches Herz. Und wir halfen Dir gerne.
 Das Leben ist Dir schwer geworden. Morgens, beim Aufstehen, scherztest Du oft, Du wollest den ganzen Tag im Bett bleiben, weil es dort so schön sei. Wozu auch aufstehen? Doch wusstest Du lauter wohlmeinende Augen nach Dir sehen, die Augen des Sohnes, den Du noch hast, und unsere. Also hast Du Dich, gutwillig wie Du bist, motivieren lassen, weil Du wusstest, dass es guter Wille war: Um des guten Willens willen also aufstehen und die Alltage durchharren: zurechtmachen müssen, Medikamente einnehmen müssen, essen und trinken müssen, sich pflegen müssen, lauter Notwendigkeiten, alle Tage, Alltage ...
 Wir beide haben uns gut verstanden. Wir haben viel gelacht, manchmal geschwiegen, oft die gleichen Wortwechsel wiederholt, weil Dein Gedächtnis manches nicht mehr so gut festhalten konnte. Jede Laune hast Du verziehen, und Dir konnte man ohnehin wegen nichts böse sein; die Sympathie aller war Dir sicher.
 Ich hoffe, man quält Dich hier nicht lange und Du versuchst nicht, die Form zu halten. Du bist doch schon ausgezehrt. Dein Sohn, der andere, den Du schweren Herzens bereits aus diesem Leben entlassen musstest, er ist der Horizont Deines Blickfeldes, das weiß ich. Geh einfach! Es ist ganz leicht, will man glauben: atme aus und nicht wieder ein.
 Was macht´s, wenn Du im Wind vergehst? Der Lebensabend hat Dich bereits unterrichtet, dass es nicht die eigene Kraft ist, die Dich hier zusammenhält. So auch dann wird es nicht Deine Kraft sein, die Dich verwandelt und Dich bewahrt, dass nichts verlorengeht.

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