Vom Zweifel und vom Licht

Erbarmt euch derer, die zweifeln. (Judas 1,22)

Erbarmt euch derer, die zweifeln. Der Zweifel gehört zum Glaubensleben wie der Schatten zum Licht. Wo immer das Licht hinfällt, wirft es den dunklen Umriss der Figur, die es bescheint. Die Figur (bleiben wir beim Menschen), sie ist von dieser Welt und trägt den Beweis dafür in jedem Licht mit sich: den Schatten. Er zeigt, dass der Mensch, der ihn wirft, real ist, kein schattenloses Wesen, wie der Volksglaube es Gespenstern und Vampiren nachsagte, zugleich aber kann man den Schatten selbst nicht fassen. Er hat keinen eigenen Körper, er ist einfach nur die andere Seite. Er trägt sozusagen zwei Fragen, die man stellen kann: Wem gehört er? Woher rührt das Licht, das ihn hervorbringt?

So ist der Glaubenszweifel auch und darin anders als der Unglaube, der das Licht des Glaubens gar nicht ins Herz lässt. Manche ängstigt das, wenn sie Zweifel in sich wachwerden fühlen, sie hätten ihren Glauben verloren, sie seien Ungläubige geworden. Deshalb ist es wichtig, ihnen das zu sagen: der Zweifel gehört zum Gläubigen, nicht zum Ungläubigen. Er ist der Schatten des Menschen, der vom Licht beschienen wird, und den dieser Mensch anschaut. Der Ungläubige sieht diesen Schatten nicht, er hält sich einfach im Licht auf (das ihm genauso leuchtet wie allen anderen) und lässt es einfach Licht sein und fragt nicht weiter danach. 

Aber wer auch immer nach diesem Licht fragt und sich umschaut, wird seinen Schatten entdecken, wird den Schatten entdecken, den alle werfen in diesem Licht, das allen scheint. Er wird fragen, wie alles, vom Licht erleuchtet, solche Schatten werfen kann, wie alles, so ganz ins Licht getaucht, immer von dieser Welt bleibt und Dunkelheit auf die Erde wirft.

Es gibt sicher verschiedene Gründe für Glaubenszweifel, aber ein ganz gravierender, der jedes Herz einmal heimsuchen wird, ist, dass diese Welt so ist, wie sie ist. Ein realistischer Blick, den wir uns meistens gerne attestieren wollen, zeigt uns sehr aufdringlich, dass das, was uns der Glaube erzählt, in dieser Welt nicht zu finden ist. Und die Ahnung wird im Herzen wach, dass das alles nur ein Irrtum war oder (schlimmer noch) eine Täuschung. Und diese Ahnung wirkt oft so klar und real, so natürlich und selbstverständlich, manchmal sogar so, als würde man sich von einer Bürde befreien, wenn man dieser Täuschung endlich abschwört. Der Schmerz, den der Glaubenszweifel in der Seele verursacht, ist sozusagen nicht der "Endgegner" in diesem Kampf; der Endgegner ist die vermeintliche Befreiung, die man zu erringen meint, wenn man Gott verlässt, der Trost, den man sich selbst spenden will, weil es in dieser Welt keinen guten Gott gibt. Weil wir sterben, weil wir uns von anderen und auch uns selbst immer wieder verabschieden müssen; weil wir so böse sein können; weil so viel Krieg, Krankheit und tägliche Mühsal unser Leben so fesseln oder umgeben - weil all das so ist, war es ein Irrtum, eine Täuschung, und besser, sich daraus zu befreien und ohne Illusion auf diese Welt zu blicken. Der Endgegner in diesem Kampf ist es, dem Zweifel zu glauben.

Es ist unterschiedlich, wie sehr jemand an diesem Gedanken festhält und in den Zweifel eintaucht, ob es ein Gedankengang bleibt, eine Möglichkeit, eine lehrsame Phase, oder ob man die Einsamkeit und Finsternis erlebt, die es bedeutet, wenn man dem Zweifel glaubt. Ach, welch eine Finsternis! 

Im Buch Hiob erzählt Hiobs Freund Elifas: Zu mir ist heimlich ein Wort gekommen, und von ihm hat mein Ohr ein Flüstern vernommen beim Nachsinnen über Erscheinungen in der Nacht, wenn tiefer Schlaf auf die Leute fällt; da ergriff mich Furcht und Zittern, und meine Gebeine in mir erschraken. Und ein Hauch fuhr an mir vorüber; es standen mir die Haare zu Berge an meinem Leibe. Da stand ein Gebilde vor meinen Augen, doch ich erkannte seine Gestalt nicht; es war eine Stille und ich hörte eine Stimme: Wie kann ein Mensch gerecht sein vor Gott oder ein Mann rein sein vor dem, der ihn gemacht hat? (Hiob 4,12-17)

Die Kraft, die uns glauben machen will, dass Gott nicht gut ist und uns nicht liebt, und uns zugleich (denn das gehört zusammen) glauben machen will, dass der Mensch nicht gut sein könne, nennen wir im christlichen Glauben satanisch und ihren Boten Satan. Von ihm redete Elifas dort, ohne es zu wissen.

Und deshalb brauchen die, die zweifeln, Mitgefühl und Geduld, Beistand und Trost von ihren Glaubensgeschwistern, wie es im Brief des Judas heißt: Erbarmt euch derer, die zweifeln. 

In dieser Welt, die so scheint, als sei der Glaube ein Irrtum, dieser Welt, der wir so sehr angehören und unsere Schatten in ihr werfen, in dieser Welt, in der wir die Möglichkeit haben, auch ohne Gott zu leben, die Freiheit, auch in die Unfreiheit zu gehen - in dieser Welt brauchen wir einander mit unserem Mitgefühl, unserer Geduld, unserem Beistand und Trost. 

Wir brauchen voneinander, was Gott uns auch erwiesen hat. Denn Gott ist gut und liebt uns. Und er hat daran gelitten, dass die Welt so ist, wie sie ist. Er hat die Freiheit durchlitten, die wir alle jeden Tag haben: mit ihm verbunden zu sein oder uns abzuwenden von ihm. Er hat diese Welt in seinem Sohn durchlitten, der rief: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?! (Mt 27,46) Er hat es in ihm durchlitten, der am Ende sagte: In deine Hände, Vater, lege ich meinen Geist (Lk 23,46), und der ein Licht sah, in dem keine Finsternis ist (1Joh 1,5).

Amen.




 

 

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