Der Gott der Schwachen
Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi bei mir wohne. (2Kor 12,9)
Am Sonntag nach dem Gottesdienst hörte ich ein nachdenkenswertes Statement. Beim Kirchencafé sagte eine Frau, man sollte doch auch mal andere Glaubensbekenntnisse sprechen, nicht immer nur das klassische "apostolische", welches wir immer sprechen. Im Evangelischen Gesangbuch und auch anderswo gäbe es viele gute andere Varianten an Glaubensbekenntnissen.
Das stimmt wohl. Wir machen oft aus Gewohnheit immer dasselbe. Anders formulierte Glaubensbekenntnisse können dazu anregen, nochmal neu darüber nachzudenken, was wir eigentlich glauben oder was überhaupt gesagt werden soll. Das Thema haben wir beispielsweise im Kirchlichen Unterricht mit den Jugendlichen auch behandelt, als sie selbst in Gruppen (und letztlich im Konsens) ein eigenes Glaubensbekenntnis verfassen sollten.
"Ja, denn wissen Sie", sagte die Dame, "Gott ist nicht allmächtig, wie es im Glaubensbekenntnis heißt. Er ist schwach. Und auch als er in Jesus Christus kam, war er schwach."
Nachdenkenswert. Im Glaubensbekenntnis wie in der Bibel selbst gibt es Stellen, Sätze oder Worte, die uns näher sind oder ferner, die unser Herz gewinnen oder uns stören. In meiner Diakonenausbildung störte jemanden zum Beispiel der Satz "Ich glaube an die heilige, christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen". Die Kirche und die Christen sind nicht heilig, sagte er.
Nein, das sind sie nicht. Zumindest nicht, wenn man das Wort "heilig" so versteht, als seien damit einwandfreie, fehlerlose Menschen gemeint. Da traf es Martin Luther wesentlich besser, als er sagte: "Wir sind Bettler - das ist wahr!"
Heilig sind wir, weil Gott uns, uns Bettler, ausgesucht hat. Und wenn diese Dame von dem schwachen Gott spricht, dann ist die Frage, ob wir wiederum diesen Gott "aussuchen", ob wir diesen Gott, dessen Kraft in der Schwäche liegt, haben wollen, ob wir diesen Gott, der solch eine Schwäche für uns hat, lieben und unseren Gott nennen.
Aktuell sieht es eher wieder danach aus, dass nicht der Gott der Schwachheit bevorzugt wird, sondern der Gott der Stärke, der Gott der Nation und des Krieges - wie in uralten Tagen, als jeder Stamm mit seinem Gott gegen einen anderen Stamm und Gott kämpfte. With God on Our Side, sang Joan Baez einmal.
Wenn dieser Irrtum aus Worten wie "Macht" oder "allmächtig" herrührt, dann stimme ich der Kritik zu; genauso wie der Kritik an "heiligen Christen".
Bis er wiederkommen und alles vollenden wird, bleibt er der Gott des Kreuzes, erklärte Sören Kierkegaard einmal sinngemäß. Er hat den Tod überwunden und sitzt "zur Rechten Gottes", und hat uns sein Versprechen gegeben, aber noch sind wir in einer Welt, in der er uns sagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. - Ein wunderbarer Gott von uns Schwachen, von uns Bettlern - das ist wahr!, der sich selbst nicht zu schade war, für uns schwach zu werden.
Bis er wiederkommen und alles vollenden wird, bleibt er das. Gleichzeitig hält er diese ganze Welt in seiner Hand, vom unfassbaren Universum bis hin zu jedem unserer Atemzüge und bis zum kleinsten Atom, und hat, schau dich um!, alles geschaffen, wie er auch eines Tages einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird; er hat dich gebildet im Mutterleibe, kennt dich bis ins Innerste mit all deinen wunderbaren Stärken und all deiner Schwachheit, und was dir unbekannt ist, deine Zukunft oder der Lauf der Geschichte, ist längst in seinem Buch niedergeschrieben; er hat dich, obgleich du noch in dieser Welt bist und es manchmal gar nicht danach aussieht, neu gemacht und das Himmelreich in deinem Herzen aufgebaut, bis er es eines Tages vollenden wird. Welches Wort sollen wir nehmen, wenn nicht "allmächtig"?
Er bleibt ja doch das alles zugleich. Ja, vielleicht finden wir dafür nochmal anders formulierte Glaubensbekenntnisse, nochmal andere Worte. Oder wir halten einfach gemeinsam inne und sagen: Gott, du bist uns zu wunderbar!
Amen.
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