Psalm 24

 Wo ist eigentlich der Garten Eden? Habt ihr euch das eigentlich schonmal gefragt, liebe Geschwister? Es gibt durchaus Forscher, die ihn gesucht haben, also wirklich geografisch versucht haben, ihn ausfindig zu machen. Undzwar nicht nur Forscher, die sozusagen ein konfessionelles Interesse an dieser Frage haben, sondern auch solche, die aus kultur- und religionswissenschaftlichen Gründen wissen wollen, wo dieser entscheidende Ort der Menschheitsmetapher verborgen liegt. Vielleicht läge ja unter irgendeinem Wüstenstaub das Gehölz und Gesträuch eines uralten Paradieses. Mit zwei Flüssen, die in der Erzählung vom Garten Eden erwähnt werden, ließe sich das Gebiet ja abstecken: es sind der Euphrat und der Tigris, die durch den heutigen Irak, durch Syrien und bis in die Türkei fließen. 

Nun findet man dort sicher einiges Interessantes, Wunderschönes und Kulturträchtiges, aber etwas, wovon man sagen würde: Das ist der Garten Eden!, das fand man bislang eben nicht. Die Vorstellungen und Theorien zum Schicksal dieses Gartens sind zahlreich. Manche glauben, er sei nach dem Sündenfall des Menschenpaares in den Himmel entrückt worden, von wo aus er eines Tages als himmlisches Jerusalem wieder herabfahren werde. Andere meinen, dieses Stück Land sei abgetrennt worden und schlummere nun als versunkene Stadt Atlantis in den Tiefen des Meeres. Wieder andere meinen ihn mit einer exotischen Südseeinsel oder mit dem nordamerikanischen Kontinent entdeckt zu haben, oder glauben, dieser Garten Eden sei Teil eines ganz anderen Kosmos gewesen, der nun verschwunden sei.

Wie auch immer, wir wissen ja, dass gerade in der religiösen Welt mit zahlreichen Vorstellungen umgegangen wird, die weder belegt noch widerlegt werden können. Ich jedenfalls habe nicht umsonst mit der Frage nach dem Garten Eden begonnen, denn heute soll es um den Psalm 24 des Königs David gehen, und ich will das meine dazu tun - soweit es mir gegeben ist - das Verständnis für diesen Text zu bereichern.

Die biblischen Schriften wissen nichts von entrückten Gärten oder einem alten Kosmos, sondern sie erzählen die Geschichte Gottes mit dieser Welt und vor allem mit dem Menschen. Der Garten Eden ist diese Welt hier, die uns gegeben wurde, damit wir sie bewahren und pflegen; und Hinweise auf diesen wunderschönen Garten haben wir auf dieser Erde wohl zur Genüge, denke ich. Der Garten ist immernoch da. In der Genesis wird er eingebettet in den Kulturraum des Nahen Ostens, die Oase in der Steppe (hebr. edenu), doch das ist letztlich gar nicht so entscheidend. Was dem Menschen verlorengegangen ist, ist nicht ein Ort, eine Kulturlandschaft oder ein umzäunter Park, sondern die natürliche Beziehung zu seinem Schöpfer, zueinander und zur Natur. Die Erkenntnis Gottes und seiner selbst ist ihm verschleiert.

Das Paradies findet sich nicht unter Palmen, an langen Sandstränden oder in rauschenden Wellen. An all diese oder andere schöne Orte kann man reisen und trotzdem Bitterkeit und Verzweiflung erleben. Das Paradies ist die Verbindung zu Gott und die Gemeinschaft mit ihm. So sagte es Jesus auch zu dem Räuber, der mit ihm gekreuzigt wurde: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. (Lk 23,43). Er lässt ihn nicht alleine gehen, sondern macht ihn zum Gefährten: mit mir wirst du dort sein. Die Gegenwart Gottes heiligt den Ort und sein Heiliger Geist lässt uns diesen Gott erkennen.

Was sagt uns nun David in seinem Psalm? Zunächst gibt er die ganze Schöpfung in Gottes Besitz und schreibt: Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. Denn er hat ihn über den Meeren gegründet und über den Wassern bereitet. Das ist das erste Bekenntnis, der erste Glaubenssatz, die erste Maxime der Heiligen Schrift überhaupt: Am Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde, und wir finden diesen Lobpreis in den Psalmen Davids häufig. Ob Palmenstrände oder das Rauschen der Wellen, ob dunkle Wälder oder weite Flur, ob dichter Dschungel oder karge Steppe, Wüste oder Eismeer, majestätische Gebirge oder finstere Abgründe, nichts ist einfach aus sich selbst heraus geworden, sondern aus göttlicher Hand. Und man kann nachlesen und studieren, diese Debatte ist uralt: haben die Götter einander gezeugt und hervorgebracht, also die Naturkräfte sich selbst geboren, oder war es göttlicher Geist, der Vernunft hat, Gedanken, Vorsehung, Ansinnen, Begehren und Liebe? An diesem Disput hat sich nichts verändert.

Nach dieser Ehrerbietung in den ersten Zeilen nimmt uns David sozusagen mit zum Heiligtum des damaligen Israel. Mose hatte es ursprünglich als Zelt der Begegnung errichten lassen, in der Gottes Gegenwart Einzug hielt, um bei seinem erwählten Volk zu sein. Nach diesem Vorbild wurde dann später durch Salomo der Tempel gebaut.

David sinnt nach und fragt, wer sich Gott eigentlich nähern darf: Wer darf auf des HERRN Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Wenn Gottes Gegenwart sich herniederlässt zu den Menschen, wer darf dann zu ihm treten und ihm begegnen? Denn alle haben gesündigt und die Herrlichkeit verloren, die Gott ihnen zugedacht hatte, wird Paulus später im Römerbrief schreiben. Der Garten ist verloren, das natürliche Beziehungsverhältnis gestört, und die Sehnsucht nach dem Göttlichen ist dem menschlichen Wesen zwar eingeboren, aber ungestillt, unbefriedigt und umhergetrieben wie das Schiff auf stürmischer See. Und hier schwankt doch unsere Betrachtung zwischen Faszination und Bitterkeit. Denn einerseits macht eben das den Menschen aus, die Tiefe seiner Seele, seine stetige Suche, sein Ringen, Forschen und Fragen, dass er das Vollkommene begehrt, es aber niemals erreichen kann; andererseits ist dies zugleich die Schwelle zur Destruktivität, zur Verführung und Verirrung, zur Anbetung falscher Götter, zur Selbstverherrlichung oder Hörigkeit.

Heute ist das vielen fremd geworden. Das Bewusstsein, Gott könne zu heilig sein, alsdass man sich ihm einfach nähern könne, ist vielen entschwunden. Das liegt mitunter daran, dass mit diesem Bewusstsein Menschen unterdrückt und gequält wurden. Nicht aus Faszination und Verehrung für die Heiligkeit Gottes rührte diese Lehre allzuoft, sondern aus Gier, Machthunger und Selbstvergottung. Nicht, um sie zu Selbsterkenntnis und Demut zu führen, sondern um sie zu erniedrigen benutzte man Gottes Vollkommenheit und des Menschen Unvollkommenheit. Eigentlich ist es bedrückend einfach: denn es braucht nicht viel Einsicht, um zu erkennen, dass der Mensch schwach und anfällig ist, und so hat man schnell seine Achillesfersen ausgemacht, wo man ihn treffen kann, wie man ihn nötigen, fesseln und dienstbar machen kann. Seht euch um mit wachen Augen und ihr werdet wahrlich viel entdecken, was um euch herum geschieht, was an euch geschieht und was ihr an anderen tut.

Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lug und Trug und nicht falsche Eide schwört: der wird den Segen vom HERRN empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heiles. So schreibt es David weiter. Hier ist etwas wichtig zu verstehen, denke ich: sowohl hier wie auch in anderen derartigen Texten ist nicht von der Tatsache die Rede, dass Menschen im Leben verfehlen, scheitern, oder etwas sagen, was sich dann als falsch herausstellt und revidiert werden muss. Wir alle leben zum ersten Mal und wir verfehlen im Leben an anderen und auch an uns selbst. Es ist aber so, dass in unserem Kulturkreis das Wort Vollkommenheit oft mit "Perfektion" gleichgesetzt wird. Und wenn einige beispielsweise die Worte Jesu hören "darum sollt ihr vollkommen sein wie euer Vater im Himmel vollkommen ist", dann denken sie daran, dass sie ein perfektes, makelloses und sündloses Wesen sein müssen, um Einlass in Gottes Reich zu finden bzw. um überhaupt echte Christen sein zu können (denn es geht ja sehr oft gar nicht darum, was man in Gottes Augen ist, sondern vielmehr darum, was man in den Augen der Menschen ist). Damit wird eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit aufgerissen, die durch nichts überbrückt werden kann, weil sie gar keinen Bezug mehr zu dem realen Menschen hat. In diesem Konflikt sind nicht wenige Gläubige. 

Solches Begriffsverständnis von Perfektionismus kennen die heiligen Schriften nicht. Sondern Vollkommenheit ist die Liebe und Hingabe zu Gott mit ganzem Herzen sowie die Liebe zum Nächsten wie zu sich selbst. Jesus nennt dies das höchste Gebot, als er danach gefragt wird. Und das ist eine lebenslange Schule. Deshalb sagte er: lernet von mir!, und Paulus schrieb denen, die er als "Vollkommene" lobte, sie mögen wachsen und "noch vollkommener" werden; er steigert also etwas, was man eigentlich nicht steigern kann.

Welche David hier ausschließt, sind nicht Menschen, die scheitern und verfehlen in ihrem Menschenleben, sondern es sind jene, die ein böses Ansinnen haben, die auf Lügen und Betrügen bedacht sind und die mit Eiden ihre Person und Rechtschaffenheit beteuern, die heuchlerisch und durchtrieben sind, ohne reine Herzen, und an deren Händen das Leid oder gar das Blut anderer klebt. Solche dürfen nicht an Gottes heiliger Stätte stehen und wir sind durch solche Verse dazu herausgefordert, in unser Herz zu schauen, unsere Gesinnung zu erforschen, unsere Eide, Schwüre, Gelöbnisse und Rechtfertigungen zu prüfen. Was bewegt mein Herz und was leitet meinen Sinn? Sind es Prestige und Ansehen? Sind es Selbstdarstellung und Etikette? Ist es Opportunismus? Ist es das Streben nach politischer Macht? Sind es die Machenschaften mit dem Staatsapparat? Ist es Hass auf Ethnie, Hautfarbe, Geschlecht und Religion von anderen? Ist es das Geld? Sind es die Partei oder die Konfession?

Denn da sind so viele Dinge, die uns fesseln können, die uns Verehrung abnötigen und uns abwenden von Gott und unserem Pfad. Und so ist das Heilige, das Vollkommene eben nicht dazu da, uns Menschen zu erniedrigen, sondern uns zur Selbsterkenntnis zu führen und uns frei zu machen von lauter Abhängigkeiten, die wir nie gebraucht haben.

Welche reinen Herzens sind, die werden Segen und Gerechtigkeit empfangen, schreibt David, und bei Jesaja wird es später heißen: O dass du auf meine Gebote gemerkt hättest, so würde dein Friede sein wie ein Wasserstrom und deine Gerechtigkeit wie Meereswellen. Denn auf die Weisungen Gottes zu achten - die heute Inspiration vieler Gesetze in vielen Ländern der Erde sind - segnet nicht nur ein Menschenleben, sondern es segnet auch ein ganzes Volk, eine ganze Nation. Und es wäre die Frage wert, ob man darauf als Volksgemeinschaft noch wirklich gründet, ob man als Regierung darauf noch gründet, ob man als Staatengemeinschaft darauf gründet. Hat man dem Volk eine gemeinsame Ethik vermittelt, einen Gemeinsinn, oder kümmerte man sich vielmehr um strukturelle und wirtschaftliche Organisation und Kooperation? Sind wir die Wertegemeinschaft, von der so oft gesprochen wird? Denn diese Verrohung überall sorgt einen. Wir sehen, wie Menschen sich in destruktive Ideologien flüchten, totgeglaubte Weltbilder wieder aus ihren Vorgärten ausbuddeln und dass Personen in Führungsämter gewählt werden, bei denen man eigentlich denken müsste, das sei jetzt Satire und könne nicht ernstgemeint sein. Wer sind die Hirten der Völker und welcher Geist leitet sie?

Das ist das Geschlecht, das nach ihm fragt, schreibt David in Vers 6, welches dein Antlitz sucht, Gott Jakobs.

Dies ist die erste Hälfte des Psalms und nun stößt David in einer Lobeshymne die Tore des Tempels auf und macht diesen Psalm zu einer Verheißung und einem Adventstext, wie wir ihn heute in vielen Gottesdiensten verlesen. Machet die Tore weit und die Pforten des Tempels hoch, dass der König der Ehre einziehe! Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR, stark und mächtig, der HERR, mächtig im Gefecht. Machet die Tore weit und die Pforten des Tempels hoch, dass der König der Ehre einziehe! Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR der Heerscharen; er ist der König der Ehre.

Zuvor hatte er gefragt, wer sich denn Gott nähern dürfe und hatte uns herausgefordert, unser Herz anzusehen, jetzt lobsingt er, dass Gott selbst herabkommen, die Welt und den Tempel betreten werde. Der Mensch fragt nach Gott und sucht ihn, Gott aber wird es sein, der herabkommt und sein Reich aufrichtet. Er wird es sein, der zu seinen Söhnen und Töchtern kommt, der mit ihnen kämpft und alle Widrigkeiten durchfechtet, der sie nicht alleine gehen lässt, sondern mit ihnen ist.

Wir stehen hier nun am Eingang des Gartens, nach dem ich zu Beginn gefragt hatte. Denn die ganze Hoffnung auf ein messianisches Zeitalter und einen Messias, die das Alte Testament durchdringt, wird nicht in einem Staatsgebilde oder einer Institution erfüllt, sondern wird uns in die Herzen geschrieben durch den Hirten unserer Seelen, wie Petrus ihn nennt. So sagte es Jesus einerseits, dass der Tempel aus Steinen und Bauwerk abgebrochen werden wird, was dann auch geschah, und zum anderen wurde durch ihn wahr, was bei Jeremia geschrieben steht: Denn das ist der Bund, den ich schließen will mit dem Haus Israel nach diesen Tagen, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihren Sinn geben, und in ihr Herz will ich es schreiben und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein. Und es wird keiner seinen Mitbürger lehren oder seinen Bruder und sagen: Erkenne den Herrn! Denn sie werden mich alle kennen von dem Kleinsten an bis zu dem Größten. Denn ich will gnädig sein ihrer Ungerechtigkeit, und ihrer Sünden will ich nicht mehr gedenken. (Jer 31,31-34; Hebr 8,10-12)

Der Garten, liebe Geschwister, die natürliche Beziehung zu Gott, das Zelt der Begegnung und das Geheimnis Gottes sind in einer Person zu finden. Nicht an einem sagenumwobenen Ort, nicht in einem Tempel, einer Kirche, nicht in einer Konfession und nichtmal in einer heiligen Schrift oder dem göttlichen Gesetz. Denn der Sohn hat alles an sich genommen: Ich bin der Weg, der zu Gott führt. Ich bin der Tempel, der abgebrochen und wieder aufgebaut wird. Ich bin das Haupt der Kirche, wenn sich etwas Kirche nennen will. Ich bin das wahre Bekenntnis, ich bin die Erfüllung der Schrift und des Gesetzes.

Allein mit diesen letzten Sätzen könnten wir noch Stunden fortfahren und ganze Bibliotheken könnte man dazu füllen, alldas durchforschen und doch niemals ausloten. Das ist ja das Faszinierende, dass wir mit alledem in diesem Leben niemals fertig werden, niemals an ein Ende kommen, die Suche und das Verlangen niemals erschöpft sind. Sondern je mehr man Gott erkennt desto größer und erhabener wird er, und je mehr man ihn kennenlernt desto tiefer wird die Liebe zu ihm.

Graben wir also nach diesem Garten. Wie die Forscher in Mesopotamien oder sonstwo nach dem Paradies suchen, so suchen wir in unseren Herzen, in unserem Glauben, in den Beziehungen zu unseren Mitmenschen, in unserer Faszination und Liebe zu Gott. Er hat uns versprochen, dass es nicht vergeblich ist, sondern dass er sich finden lässt, wenn wir ihn von ganzem Herzen suchen.

Seid gesegnet.

Amen 

 

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