Der arme König

Du Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. (Sacharja 9,9)

Die ganze Ambivalenz, die ganze Tiefe unseres Glaubens ist in diesen Worten Sacharjas eingefangen. Der "arme König", könnte man titeln. Da verspricht er seinem Volk, dass der König kommen werde, ein Gerechter und ein Helfer, und dieser König ist arm, so arm, dass er nichtmal ein Pferd hat, sondern auf einem Esel wird er einreiten in Jerusalem. 

Was ist denn das für ein König?, könnte man fragen, aber Sacharja verkündet es ganz selbstverständlich als frohe Botschaft, als sei es ganz klar und unmissverständlich: dies ist die Verheißung und die gute Nachricht an das Volk Israel - der arme König wird kommen.

Stellt euch mal vor, dies würde heute geschehen, vor unseren Augen: ein König aus einem fernen Lande käme zum Treffen mit einem Präsidenten, und er käme zu Fuß oder auf einem Fahrrad, ohne Eskorte, ohne gepanzerte Wagen, ohne Leibwache, ohne Flagge und Insignien, in Hemd und Jeans, ohne Beraterstab und ohne Protokoll. Er wäre beim Ablauf des Besuches unbeholfen, weil ihm das alles fremd wäre, und vor den ganzen salutierenden Soldaten mit ihren Gewehren am roten Teppich würde er den Präsidenten irritiert fragen: "Brauchen Sie sowas noch?"

Denn die Soldaten und Gewehre von heute sind ja nichts anderes als Stammesbemalung, Speere, Schilde und Trommeln von damals bei den alten Völkern. Das Händeschütteln und das gemeinsame Unterzeichnen von Verträgen vor dem Blitzlichtgewitter der Presse heute ist ja nichts anderes als die Friedenspfeife und der gemeinsame Trunk damals. Friedensverträge unter der Darstellung der ganzen militärischen Kraft, damals wie heute.

Aber dieser König hier wäre anders. Er käme mit dem Fahrrad, male ich mir aus, würde es an der Seite abstellen und auf den Regierungschef zugehen, während die ganze Presse immernoch auf die Straße draufhält und auf Limousinen wartet und gar nicht bemerkt hat, dass der König schon da ist. Er, der schlicht und einfach ist, würde ihn vielleicht in einem ruhigen Moment zur Seite nehmen und mit "mein lieber Sohn" ansprechen, ihn, der so viel älter, so viel erfahrener, so viel mächtiger ist als er. Er würde keinen Zweifel daran lassen und ihn daran erinnern, dass er alle Macht nur hat, weil sie ihm gegeben wurde von dem Herrn aller Dinge. Er würde ihm sagen, die Soldaten sollen die Waffen ablegen und einen anderen Dienst tun.

Aber ich fantasiere natürlich. So wäre es ja nicht, nicht wahr? Es wäre überhaupt nicht zulässig, was ich mir hier ausgedacht habe. So ein Auftritt wäre nicht angebracht, nicht akzeptabel nach dem Protokoll von Staatsbesuchen.

Ja, richtig, aber genau so wird er beschrieben bei Sacharja: Der arme König auf dem Esel. Und weiter heißt es: Denn ich will die Wagen wegtun aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde. Ein armer König auf einem Esel wird kommen und wird alles ändern, wird alle Waffen niederlegen lassen und Frieden bringen. Das klingt so herrlich und so unsinnig zugleich. Schön wäre es.

Vor allem, wenn man sich umschaut in der Welt - heute mehr denn je, möchte man meinen - dann ist einem dieser Text fast schon ein Hohn. Nicht nur der arme König als Retter des Volkes gibt ein ambivalentes Bild ab, sondern auch die Menschheitsgeschichte, die er scheinbar hinterlassen hat. Denn da ist kein Frieden. Da sind keine Streitwagen weggetan und keine Geschosse zerbrochen, nicht wahr? Da verzichtet keiner freiwillig auf seine Prestige, auf seine Insignien, auf seine Machtdemonstration und seine Stützpunkte. Das wäre auch viel zu heikel.

Auch unser Text aus Sacharja 9 belässt es nicht lange bei dem Frieden, von dem wir gerade gelesen haben, sondern prophezeit den Widerstreit, der kommen wird zwischen dem Volk Gottes und Griechenland. Nach der Verkündigung des Messias, des Friedenskönigs, wird in prophetischen Bildern das Gefecht illustriert. Was sagen wir nun? Ist durch dieses Gefecht dem Friedenskönig, der da verheißen war, irgendetwas weggenommen? Nein, ist es nicht, aber das hat etwas mit der Art und Weise zutun, wie man diese Schriften liest und versteht.

Ist denn etwa dem Wert und dem Anrecht des Friedens in unserem Land etwas genommen, weil er bedroht wird, weil er brüchig ist, weil es in ihm Menschen voller Hass und Verbitterung gibt, weil ringsumher Konflikte wüten? Ist der Sehnsucht nach Frieden etwas genommen, weil auch dieses Land hier Militär und Verteidigung benötigt in einer Welt wie dieser? Nein, diesen Werten und dieser Sehnsucht ist durch die nackte Realität nichts genommen, sondern im Gegenteil: diese Werte werden immer höher und diese Sehnsucht wird immer tiefer.

Ist der Liebe und der Erziehung von Eltern etwas genommen, weil die Kinder auf falsche Wege kommen oder durch widrige Umstände und Entbehrungen hindurch müssen? Nein, sondern die Liebe und die Sorge werden dadurch nur noch dringlicher.

Aber hat er sich denn bewährt mit dem, was dort versprochen ist? Das ist eine ernste Frage. Hat der, dem so viele Menschen bis heute ihr Vertrauen und ihr Herz schenken, hat er sich bewährt? Ja, hat er. Schauen wir nochmals in die Verse: die Wagen und Rosse wolle er wegtun, sagt er, und den Kriegsbogen wolle er zerbrechen. Ist das die Lehre des Mannes, den wir für den Messias, den Christus halten? Ja, ich denke, das können wir ohne Zögern sagen. Frieden werde er gebieten, steht dort, und seine Herrschaft werde bis an die Enden der Erde sein. Hat er Frieden geboten allen Völkern und ist seine Lehre bis an alle Enden der Erde gekommen? Ja, das können wir sagen.

Was aber so viele provoziert an diesen Worten, ist die Tatsache, dass dieses Friedensreich hier nicht vollendet ist. Ja, das provoziert. Und hoffentlich provoziert es uns so sehr, dass unsere Sehnsucht immer tiefer und unsere Sorge immer dringlicher wird, und wir einmal mehr erkennen, dass wir als Lichter in diese Welt gesandt sind, als ein Widerspruch zur nackten Realität. Denn wie Präsidenten, Kanzlerinnen oder Stammesfürsten zuweilen daran erinnert werden müssen, dass sie nur Macht haben, weil sie ihnen gegeben wurde, so müssen wir uns zuweilen daran erinnern lassen, was eben uns gegeben worden ist und was Gott auf uns hält. 

Lassen wir uns erinnern an diesen Bund, den der König mit uns geschlossen hat. Denn in ihm sind wir, so schreibt es Paulus im Epheserbrief, zu Erben eingesetzt worden. Das bedeutet, alles, was sein ist, hat er uns anvertraut und in unsere Hände gegeben. Ist uns das bewusst? Oder kann es sein, dass wir das oft viel zu gering schätzen, dass es uns zu wenig, zu mühsam, zu hoffnungslos ist? Möchten wir vielleicht bequem sitzen, wenn wir solche Friedensverheißungen lesen, und sagen: "Ja, wo ist es denn? Dann mach mal!" Gott soll es machen. Er soll es einfach programmieren, damit es richtig funktioniert. Oder die Regierung? Oder der Präsident? Oder die Bundeskanzlerin?

Sehen wir nicht ganz aktuell, was es bedeutet, wenn man die ganze Verantwortung, die ganze Hoffnung oder auch die ganze Schuld auf die Obrigkeit abwälzt? Wenn man Regeln ignoriert, Menschen verachtet oder Präsidenten zu Gottkönigen glorifiziert? Überzeugte Christen sind es maßgeblich, die das tun, auf Demonstrationen, Parteiauftritten und in Youtube-Videos. Was für ein Trauerspiel.

Lassen wir uns erinnern. Wir haben einen anderen König, und nicht jene dort! Wir haben einen anderen König, und was dem Volk Israel in Sacharja 9 verheißen war, ist auch uns gegeben worden aus reiner Gnade. Schätzen wir das nicht gering! Wir meinen vielleicht manchmal, ohnmächtig zu sein, aber schätzen wir es nicht gering ein, wie sehr Liebe das Herz und die Gesinnung eines Menschen wenden kann. Die Liebe, das, was dort in diesen Versen in Sacharja niedergeschrieben ist, kann das Leben eines Menschen vollkommen verändern; es kann ein ganzes Volk, eine ganze Gemeinde durch Verfolgung und Unterdrückung hindurchtragen. Der "Strohhalm, an den man sich klammert", sagen manche. Aber was bekümmert uns das? Die haben ihre eigenen Strohhalme, mit denen sie sich befassen sollten.

Doch das, was die Liebe tut, ist meist so still, ist meist so geduldig und unaufdringlich, und deshalb sieht man es zuweilen nicht, wenn man nicht aufmerksam hinschaut. Es ist meistens nichts für die Schlagzeile, nichts für die Geschichtsbücher, nichts für die Parolen und Einzeiler. Man sieht es ja auch bei unserem Text hier: selbst, wenn man eine Schlagzeile daraus machen wollte, muss sofort der Hinweis gegeben werden, dass da noch eine ganze Menge Text zugehört, dass eine Geschichte dazugehört, die einen zum Nachsinnen herausfordert, die einem auf die Füße tritt, einen stört, einen fasziniert, die unauslotbar bleibt. Vorsicht mit Schlagzeilen, mit Parolen, mit Einzeilern! Sie sind niemals die ganze Geschichte und wenn sie alles sind, was jemand zu bieten hat, dann sind sie es nicht weiter wert.

Unsere Schlagzeile, unser Titelbild heute, der arme König auf dem Esel, widerspricht allem, was wir von den Gewalten und Mächten dieser Welt kennen. Seine Botschaft, seine Herrschaft widerspricht allem, was wir an Verordnungen und Staatsformen in dieser Welt kennen. Der König ist arm, er hat kein prächtiges Ross, sondern einen Esel, Streitwagen und Krieger nimmt er weg, Waffen und Geräte zerbricht er, die Völker lehrt er Frieden und sein Königreich lebt in den Herzen der Menschen, die ihn lieben. Und was, behaupte ich, könnte erstrebenswerter sein? Lassen wir uns heute durch Sacharja daran erinnern. 

... so kehrt nun heim zur festen Stadt, ihr, die ihr auf Hoffnung gefangen liegt. (Sacharja 9,12)

Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. (Römer 8,24)

Amen. 

Und der Friede Gottes, der höher ist denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.  




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